History  

John E. Pacher (1842-1898)


und
die Gehörlosenbewegung in Hamburg und Altona


  • 1847-1858 Besuch der "Taubstummenanstalt" in der damaligen Hamburger Vorstadt St. Georg, An der Koppel 45.

  • 1874 Teilnahme von John Pacher beim Kirchenfest in Berlin und dem Internationalen "Taubstummenkongress" in Wien und Auftritt als Zauberer

  • 1875-1884 Teilnahme bei den Internationalen "Taubstummenkongressen" in Dresden (1875), Leipzig (1878) und Stockholm (1884).
    Bei den Kongressen standen verschiedene Themen im Mittelpunkt: Verbreitung der Gehörlosenvereine, Bau von Heimen für alte und unter Armut leidende Gehörlosen, Einführung der Schulpflicht für gehörlose Kinder, Erhalt der Gebärdensprache in den Gehörlosenschulen, Gründung von Gehörlosenkindergärten usw.
    Eduard Fürstenberg war die treibende Kraft der Kongresse und ging als der Gründer der deutschen Gehörlosenbewegung in die Geschichte ein.

  • 1875 Erste Versammlung des "Taubstummenvereins zu Hamburg" am Zeughaus-Markt Nr. 39 in der Nähe vom Millerntorplatz.
    Es wurden John E. Pacher als 1. Vorsitzender, Rode als 2. Vorsitzender, Paul Hirschfeld als Schatzmeister, W. Westphalen als Schriftführer, E. Knüppel als 1. Beisitzer und Carl Pforr als 2. Beisitzer gewählt. Pacher musste die Satzung ausgearbeitet haben.
    Laut § 1 der Statuten diente dieser Verein folgenden Zwecken:
    "1. durch gegenseitiges Beispiel von Fleiß, Ordnung, Sparsamkeit und ehrenhaftes Betragen, taubstumme Personen zu einem würdigen Erfüllen ihrer Pflichten gegenüber die bürgerliche Gesellschaft und gegen einander anzutreiben;
    2. solche taubstumme Mitglieder, welche durch Krankheit, Alterschwäche und andere Ursachen notleidend sind, vermittelst Anleihen oder Gaben zu unterstützen, sowie
    3. eine passende Bibliothek zum Ausleihen an die Mitglieder des Vereins anzuschaffen, sodann im Übrigen durch Vorträge in passenden Gegenständen und durch bildenden Umgang aufklärend und veredelnd einzuwirken." (veröffentlicht im "Der Taubstummenfreund, in Berlin von Fürstenberg herausgegeben)

  • Juli 1882 Gründung des "Provinzial-Taubstummenverein für Schleswig-Holstein" in Schleswig von einigen Gehörlosen unter Mitwirkung einiger Lehrer der Schleswiger "Taubstummenanstalt".
    Ein seiner Ziele war die Schaffung eines "Taubstummen-Heimes" für alte und unter Armut leidende Gehörlose in Schleswig-Holstein. Dieser Verein war der Vorläufer des heutigen Landesverbandes der Gehörlosen für Schleswig-Holstein.

  • 1883 Gründung des "Taubstummen-Verein von Altona und Umgebung" durch Gustav Adolf Claudius (1850-1912). Der Verein war Mitglied im "Provinzial-Taubstumenverein für Schleswig-Holstein"
    Claudius war der Schüler von Otto Friedrich Kruse (1801-1880), einem bekannten gehörlosen Lehrer in Schleswig, und arbeitete als Schriftsetzer. Er war lange Zeit der 1. Vorsitzender ebenso wie G. Ernsberger der 2. Vorsitzender. Die Versammlungen fanden oft in der Gaststätte Plassenburg, Königstrasse 135 statt.
    Pacher und andere Mitglieder des Hamburger "Taubstummenvereins" traten dem Altonaer Verein bei, da sie nicht mehr für sinnvoll hielten, den Verein zu führen. Der Verein war allmählich eingegangen, wobei der Kassenbestand in Höhe von etwa 500 Mark einbehalten wurde.

  • 1884 Druck der Plaketten in der Pachers Firma für den sechsten Internationalen "Taubstummen-Kongress" in Stockholm.

  • Januar 1889 Absage des siebten "Internationalen Kongresses für Taubstumme und deren Lehrern" in Hamburg durch John Pacher und Gustav A. Claudius aufgrund den finanziellen Bedingungen.
    Sie begründeten, dass die Teilnehmer durch die hohen Ausgaben am Besuch des Kongresses abgehalten werden konnten, da es keine finanzielle Ermäßigungen für die Fahrten gab und die Lebensverhältnisse wegen der parallel anlaufenden internationalen Gewerbe- und Industrieausstellung teurer wurden.

  • 1890 "Aufruf zur Errichtung eines Denkmals und Begründung einer Stiftung zur Erinnerung an Samuel Heinicke" von den Komiteemitgliedern John Pacher, Paul Hirschfeld, Kurt Pohlmann und Adalbert Tomei im "Taubstummen-Courier" (in Wien herausgegeben).
    Hirschfeld war der langjährige Schulkamerad von Pacher und Tomei (1851-1917) der Meister für Buchbinderei in Pachers Fabrik.

  • Juli 1890 Das Wohltätigkeitskonzert fand zum sechstenmal, diesmal im Konzertgarten "Flora", statt, bei dem die Erlöse zugunsten dem zu errichtenden Altenheim in Schleswig erzielt werden konnten.
    John Pacher wirkte tatkräftig bei den Organisationen der Konzerte mit. Deshalb wurde er später als zweites Ehrenmitglied des "Provinzial-Taubstummenvereines für Schleswig-Holstein" geehrt.

  • Juli 1890 Besuch von Albin Maria Watzulik (1849-1930) aus Wartenburg/Thüringen bei dem Ehepaar Pacher.
    Pacher erzählte Watzulik, dass er schon angefangen hatte, sich gegen die Unterdrückung der Gebärdensprache im Gehörlosenunterricht einzusetzen. Watzulik war ein selbständiger Schriftsetzer und auch ein Kämpfer für die Rückkehr zur kombinierten Methode (Gebärdensprache und Lautsprache).

  • Oktober 1890 Tauffeierlichkeiten für den Sohn namens Alexander Heinrich vom Ehepaar Tomei im Hause der Pachers.
    Das Ehepaar hatte seit 1887 schon einen gehörlosen Sohn namens Boris.

  • November 1890 Gründungsversammlung des "Hamburger Taubstummenvereins" im "Börsenhof" nach der Einladung von Pacher.
    Pacher gab bekannt, dass die Hamburger Gehörlosen zum noch zu errichtenden Altenheim in Schleswig nicht zugelassen werden durften. Es sei nur für Gehörlose in Schleswig-Holstein gedacht, wie in der Satzung des "Provinzial-Taubstummenverein" geschrieben stand.
    So mussten die Hamburger wieder einen Verein gründen und einen eigenen Fond für das Altenheim in Hamburg anschaffen. Es wurde dem neuen Gehörlosenverein ein Fonds in Höhe von ca. 500 Mark vom eingegangen Gehörlosenverein übertragen.
    Es wurden Adalbert Tomei als 1. Vorsitzender, Pforr als 2. Vorsitzender, Gehörlosenlehrer Ernst Danckert (hörend) als Schriftführer u. a. gewählt.

  • Januar 1891 Bei der Monatsversammlung wurden die Vereinsstatuen nach der Erklärung von Pacher verabschiedet. Die Mitgliederzahl belief sich schon auf 47.

  • 1891 Johannes Heidsiek (1855-1942), ein hörender Gehörlosenlehrer aus Breslau, erregte Aufsehen mit seinen Büchern "Der Taubstumme und seine Sprache" (1889) und "Ein Notschrei der Taubstummen" (1891) bei den Gehörlosenlehrern und den Gehörlosen.
    Nachdem um 1870 Otto Friedrich Kruse vor den Folgen durch den rein lautsprachlichen Unterricht schon gewarnt hatte, wurde in den Büchern von Heidsiek die Undurchführbarkeit der rein-oralen Methode aufgezeigt und die Rückkehr zur kombinierten Methode verlangt.

  • November 1891 Massenpetition an Kaiser Wilhelm II., verfasst von John Pacher und unterschrieben von mehr als 800 Gehörlosen und Hörenden.
    In Berlin gab es 133 Unterschriften, in Hamburg und Altona fast 100, in Breslau und Leipzig je 58, Hannover 52, München 30 usw.
    Es wurde die Forderung an die Verantwortlichen gestellt:
    "Dass die Frage der Taubstummenbildung aufs Neue erwogen und neben der Lautsprache die lange ersehnte Einführung der Gebärdensprache in den Unterricht der Taubstummen zur Tatsache werde."

  • Januar 1892 Zu Ehrenmitgliedern wurden John Pacher und Gustav A. Claudius bei der Hauptversammlung des Hamburger "Taubstummenverein" ernannt. Adalbert Tomei wurde als 1. Vorsitzender wiedergewählt.
    Pacher trat dem neugegründeten "Spar- und Darlehen-Club Biene" in Hamburg bei.

  • Januar 1892 Audienz beim Kultusminister v. Zedlitz-Trütschler in Berlin mit August Schenck, einem gehörlosen Hilfslehrer aus Berlin, und dessen Frau Anna Schenck, hörende Tochter von Eduard Fürstenberg betreffs der Massenpetition.

  • März 1892 Im Taubstummenverein Hannover wurde Pacher als Ehrenmitglied anlässlich des 20jährigen Bestehens des Vereins ernannt.

  • Juni 1892 Erster deutscher "Taubstummen-Kongress" in Hannover.
    Acht deutsche Gehörlosenkongresse in verschiedenen Städten folgten bis zum Beginn des ersten Weltkrieges 1914. Anfangs drehte es sich zumeist um den Methodenkampf. Später wurde über den Dachverband deutscher Gehörlosenvereine immer mehr besprochen, auch wenn es nicht ganz nach einem Durchbruch aussah.

  • September 1892 Ablehnungsbescheid in Form eines Erlasses vom Herrn Bosse, "Minister der geistlichen, Unterrichts- und Ministerial-Angelegenheiten" betreffs Massenpetition vom November 1891.
    Die Antwort war entmutigend, weil es keiner Veränderungen im Gehörlosenunterricht bedurfte. Die "deutsche" Methode hatte sich bewährt, auch weil die ausländischen Gehörlosenschulen die rein-orale oder orale Methode nach dem Vorbild von Deutschland eingeführt hatten.
    Es war vor allem auf die Resolutionen beim Mailänder Kongress 1880 zurückzuführen, bei dem in großer Anzahl überwiegend ausgewählte Gehörlosenlehrer aus Italien und Frankreich teilgenommen hatten. Nicht zuletzt wurden gehörlose Gehörlosenlehrer in Europa und später auch in Amerika zur Aufgabe der Lehrstellen gezwungen.

  • 1893 Ehrenmitglied im "Taubstummverein" Stockholm, zusammen mit Albin Maria Watzulik und Johann Heidsiek.

  • 1894 Gründung des "Taubstummen-Bundes" zu Hamburg.
    Davor gab es noch einen Gehörlosenverein "Hephata", den der Tischler Johann Heinrich Bröhan aus Königreich im Kreis Stade zwei Wochen nach der Gründungsversammlung des "Taubstummen-Vereins" gründete. Pacher bekämpfte Bröhan, weil er vorbestraft war. 1895 verschwand Bröhan plötzlich und der Verein wurde aufgelöst.
    Der "Taubstummen-Verein" und der "Taubstummen-Bund" vereinigten sich 1906 zum "Allgemeinen Taubstummen-Verein, gegr. 1891". Einige Jahre später wurde er in "Allgemeinen Taubstummen-Unterstützungs-verein von 1891 e.V." umbenannt. Heute besteht noch dieser Verein "Allgemeiner Gehörlosen-Unterstützungsverein von 1891 e.V." (AGUV). Dabei spielte Boris Tomei, Sohn von Adalbert Tomei, bis zu seinem Tod 1958 eine wichtige Rolle für die AGUV.
    Ein Höhepunkt für diesen Verein war, dass nach vielen Spendensammlungen seit 1909 ein Altenheim in Volksdorf erworben werden konnte, in den Jahren 1933/34 trotz der nationalsozialistischen Diktatur (1933-1945).

  • 1894 Vorsitz von Pacher auf dem zweiten deutschen Gehörlosenkongress in Wiesbaden.

  • Juli 1895 Enthüllungsfeier des Denkmals Samuel Heinickes in Hamburg-Eppendorf mit dem Gehörlosenpfarrer Schönberner aus Berlin vor mehr als 400 Gehörlosen.
    Mit der Spendensumme von 3000 Mark konnten die Büste von Samuel Heinicke (hergestellt vom gehörlosen Bildhauer Carl Peter von Woedtke (1864-1927) aus Berlin) und der Granitsockel bezahlt werden.
    Johannes Timermann, Vorsitzender des Denkmal-Komitees, hatte einen Antrag beim Senat der Hansestadt Hamburg auf die Genehmigung des Denkmals gestellt und organisierte eine gelungene Enthüllungsfeier. Ab 1892 hatte Pacher sich mit der Arbeit für das Komitee zurückgehalten.

  • 1895-1898 John Pacher wirkte ab dieser Zeit nicht mehr vorne an der Gehörlosenbewegung in Hamburg und Deutschland mit und zog sich offensichtlich bis zu seinem Tod 1898 zurück. Es können momentan keine genauen Gründe genannt werden.
    Sein Engagement als Gründer der Gehörlosenbewegung in Hamburg scheint jedoch vollbracht. Die anderen Gehörlosen konnten die Arbeiten von Pacher weiterführen.


Helmut Vogel