KuGG e.V.
Kultur und Geschichte Gehörloser e.V.

  2. Jahrestagung vom 4. bis 6. Juni 2004 in Heidelberg
  „Wege zum Verstehen der Gehörlosenkultur“

Abstracts der Referate  (in zeitlicher Reihenfolge bei der Tagung)


Gertrud Mally, München
Kartographin beim Bayerischen Landesvermessungsamt,
ehem. Herausgeberin von „Selbstbewusst werden“


Referentin Gertrud Mally

FISE: Hand-Maler Gedanken zur Ausstellung -

Das Lebenswerk von Fise alias Albert Fischer

Wir, die Gehörlosen in Deutschland, sind um eine hervorragende Persönlichkeit in der Gehörlosenkunst ärmer geworden. Gerade als der gehörlose Albert den Höhepunkt seiner großartigen, imposanten Kunsttätigkeit erreichte. Der am Ende letzten Jahres verstorbene Albert Fischer schuf mit viel Liebe und kreativer Schöpfung unzählige Kunstwerke, mit deren er die unterdrückte und verborgene Gehörlosenidentität expansiv ans Tageslicht brachte.

Zu Zeiten der politischen Emanzipationsbewegung gehörloser Menschen konnte die Gehörlosenkultur ihren Platz auch in der Kunst einnehmen. Das Bekenntnis zur Gebärdensprache als eigenständige Sprache der Gehörlosen und somit zur Gehörlosenidentität widerspiegelt sich in seinen Öl- und Aquarellbildern.

Die Ausstellung wird allen Besuchern, gehörlosen Kunstliebhabern oder Künstlern einen Einblick in sein Lebenswerk geben und sie bewusst machen, dass auch die Gehörlosenkultur sich in der Kunst ausdrücken kann. Sie soll allen, insbesondere unsere nächste Generation, als ein beispielloses Vorbild dienen.

Laudatio auf Albert Fischer - PDF     englisch




Simon Kollien, Hamburg
Diplom-Psychologe, Lektor am Institut für DGS, Universität Hamburg:

Referent Simon Kollien

Ansätze zur Erforschung bzw. Bestimmung des Begriffs Gehörlosenkultur

Ausgehend von den Überlegungen von Hessmann/Weinmeister auf der Tagung der GGKG 2003 in Magdeburg wird der Referent kurz über den Stand der Definition des Begriffs "Gehörlosenkultur" referieren.
Bisher konnte diese Definition der Gehörlosenkultur nicht ausreichend die Verwirrung unter den Interessenten angesichts dieses Themenkomplexes abbauen. In seinen Seminaren beschäftigt sich Simon Kollien ebenfalls mit Inhalten, die der Gehörlosenkultur zugeordnet werden, wie die Gebärdensprachpoesie oder "typische" Verhaltensweisen Gehörloser. Diese werden in einem Überblick vorgestellt.
Anschließend wird erörtert, inwiefern sie im Zusammenhang mit dem Kulturbegriff stehen und eingeordnet werden können. Dazu werden Ansätze bzw. Perspektiven aus verschiedenen Disziplinen der allgemeinen Kulturwissenschaften miteinbezogen und Übertragungsmöglichkeiten diskutiert.




Catherine Tangalou, Athen/Griechenland, derzeit Hamburg
Künstlerin für Malerei und Theater und pensionierte Gymnasiallehrerin

Referentin Catherine Tangalou

Gehörlosenkultur in Griechenland mit eigenen Erfahrungen zur Arbeit mit dem Theater und der Kunst

Im Vortrag werden die mannigfaltigen Aspekte der griechischen Gehörlosenkultur aus einer kunsttheoretischen Perspektive angesprochen. Soziokulturelle und geschichtliche Ansätze werden auch berücksichtigt.
Darüber hinaus wird aus eigenen pädagogischen Erfahrungen zur Arbeit mit der Kunst, und insbesondere mit dem Gebärdensprachtheater, die kulturfördernde Kraft des Theaters für die Identität der Gehörlosen als Mitglieder einer Sprachgemeinschaft in Betracht gezogen.

Das Gebärdensprachtheater trägt zur bewussten Reflexion der griechischen Gebärdensprache als kultureller Basis der griechischen Gehörlosengemeinschaft entscheidend bei. Der Zusammenhang von Sprache und Kultur wird daher klar veranschaulicht.




Helmut Vogel, Hamburg
Erziehungswissenschaftler, Freiberuflicher Dozent

Referent Helmut Vogel

Gehörlosenkultur in Deutschland mit dem Blick in die Vergangenheit

Der Begriff „Gehörlosenkultur“ hat sich in letzten Jahrzehnten entwickelt und heutzutage durchgesetzt. Zuerst haben die Gehörlosen sich ein Bewusstsein gegenüber der eigenen Sprache entwickelt, und dann der eigenen Kultur und Geschichte. Die Anziehungskraft des Begriffes „Gehörlosenkultur“ beruht auf dem expliziten und dynamischen Sinn. Das ist ein Unterschied zum früheren Begriff „Gehörlosenwelt“, aber auch zu anderen Deutungen, z.B. „Gehörlos so“.

Danach werden einige bedeutende historischen Ereignisse für die Gehörlosen in Deutschland im Überblick vorgestellt: Erster Gehörlosenverein 1848, Kampf gegen Unterdrückung der Gebärdensprache ab 1870, Gründung der bundesweiten Verbände Regede 1927 und DGB 1950, Gehörlosensportbewegung und Einsatz für die Anerkennung der Gebärdensprache. Dadurch können die ähnlichen Merkmale betreffs dem Selbstverständnis der Gehörlosen in der Vergangenheit und der Gegenwart aus der Sicht der Deaf History festgestellt werden.




Dr. Chrissostomos Papaspyrou, Athen/Griechenland, derzeit Hamburg
Chemiker und promovierter Gebärdensprachlinguist,
Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für DGS, Universität Hamburg


Referent Chrissostomos Papaspyrou

Bedeutung der Begriffe „Sprache“, „Kultur“ und „Zivilisation“ für das Nachdenken zur Gehörlosenkultur

Sprache, Kultur und Zivilisation sind drei sehr wichtige Begriffe für das Verständnis der Entwicklung aller Menschengemeinschaften. Diese Begriffe werden in diesem Vortrag erklärt und in ein zusammenfassendes Schema gebracht, um zu zeigen, wie sie in der Tat wechselseitig einander beeinflussen und bestimmen.

Die allgemeine Deutung von Sprache, Kultur und Zivilisation soll darüber hinaus dazu dienen, den Sachverhalt der Gehörlosenkultur genau zu bestimmen, damit wir die weitaus unterschiedlichen und zum Teil auch widersprüchlichen Auffassungen von der Gehörlosenkultur unter einem gemeinsamen Nenner bringen können.




Dr. Paddy Ladd, Bristol/Großbritannien
promovierter Dozent für Deaf Studies an der Universität Bristol

Referent Paddy Ladd

Gehörlosenkultur verstehen! Auf der Suche nach "Deafhood"

Abstract zu seinem Buch (deutsch übersetzt)

„Understanding Deaf Culture – In Search of Deafhood“
von Paddy Ladd.
Erschienen im Centre for Deaf Studies,
University of Bristol, United Kingdom.
www.bris.ac.uk/deaf


Dieses Buch stellt einen "Reiseführer" zur Gehörlosenkultur dar, von der Annahme ausgehend, dass Gehörlosenkulturen einen wichtigen Beitrag zu anderen akademischen Disziplinen und allgemeinen Lebenssituationen der Menschen zu leisten haben. Innerhalb und außerhalb der Gehörlosen-gemeinschaften gibt es eine Notwendigkeit, eine Beschreibung von dem neuen Konzept zur Gehörlosenkultur zu machen, welches den Lesern und Forschern ermöglicht, seinen Platz neben den Arbeiten zu anderen Minoritätskulturen und mehrsprachigen Abhandlungen festzusetzen.

Das Buch macht die Konzepte der Kultur, ihre gemeinsamen Begriffe und ihre vielen Erscheinungen zugänglich, und wendet diese auf die Gehörlosengemeinschaften an. Der Autor veranschaulicht die Fallen, die für diese Gemeinschaften durch das gedankenlose Festhalten am medizinischen Konzept von der "Gehörlosigkeit" verursacht worden sind, und kontrastiert dies mit seinem neuen Konzept von der "Deafhood", der ein Prozess jedes gehörlosen Kindes, Familie und Erwachsener implizit erklärt, ihre Existenz in der Welt zu sich selbst und zu den anderen.

Die Absicht des Buches ist eine Reise, die der Autor und der Leser gemeinsam machen, und sie dabei zu einem Dialog ermutigt. Dies führt zur Möglichkeit einer ganz besonderen und anregenden Zeit mit gegenseitiger Befruchtung verschiedener Aspekte zur mehrsprachigen und multikulturellen Entwicklung.




Satu Worseck, Hamburg
Gehörlosenpädagogin, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für DGS, Universität Hamburg

Referentin Satu Worseck

Gehörlosenkultur in Finnland

In den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts haben gehörlose Menschen in Finnland lebhaft darüber diskutiert, ob sie gehörlose oder gebärdensprachige Menschen sind. Die Bezeichnung "gebärdensprachige Menschen" ist neu und meint Personen, die täglich die Gebärdensprache nutzen und die die Gebärdensprache als ihre Mutter- oder Erstsprache ansehen.

Das Konzept vom gebärdensprachigen Menschen zeigt uns eine andere Sichtweise im Vergleich zum Konzept des "gehörlosen Menschen". Erstere hat die sprachliche und kulturelle Minderheit im Fokus. Auch wenn sich Gehörlose als gebärdensprachige Menschen identifizieren, merken sie, wie wichtig die Bezeichnung "gehörlos" für ihre Identität ist. Die Bezeichnung "gehörlos", wie auch taubstumm, taub, hörgeschädigt usw., entstammen aus der Medizin und wecken bei Hörenden eher negative Assoziationen. Die Gehörlosen sehen sich selbst nicht als behindert an. Ihre Sprache, die Gebärdensprache ist der wichtigste Teil der Gehörlosenkultur, ohne sie die Gehörlosenkultur nicht existieren würde.



Alle Abstracts der Referate in PDF


Kontakt zu Referenten (E-Mail-Adressen)

Gertrud Mally   Gertrud.Mally@t-online.de

Simon Kollien
  Simon.Kollien@sign-lang.uni-hamburg.de

Catherine Tangalou
  Chrissostomos.Papaspyrou@sign-lang.uni-hamburg.de

Helmut Vogel
  Helmut.Vogel@kugg.de

Dr. Chrissostomos Papaspyrou
  Chrissostomos.Papaspyrou@sign-lang.uni-hamburg.de

Dr. Paddy Ladd
  Pad.Ladd@bristol.ac.uk

Satu Worseck
  Satu_Worseck@hotmail.com



Dokumentation der Jahrestagung
Alle Vorträge wurden mit der Videokamera aufgenommen. Wir werden eine schriftliche Dokumentation und eine DVD in der Gebärdensprache zur 2. Jahrestagung erstellen.
Wir hoffen, dass es zu Ende dieses Jahres mit dem Verkauf der Dokumentationen soweit ist. Es wird hier in unserer Website www.kugg.de und in Gehörlosenzeitschriften bekannt gegeben.

 
   
  KuGG-JT-2004
 

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