KuGG e.V.
Kultur und Geschichte Gehörloser e.V.

  Symposium
   3. bis 5. Juni 2005 in Bonn

   „60 Jahre nach 1945 –
   Mit der Gehörlosengeschichte in die Zukunft“

Abstracts der Referate  (in zeitlicher Reihenfolge bei der Tagung)


Helmut Vogel
, Hamburg
Erziehungswissenschaftler M.A., Historiker und freiberuflicher Dozent
und
Jochen Muhs
, Berlin
Historiker, Vorsitzender Gehörlosenverband Berlin,
Vize-Präsident Deaf History International

Helmut Vogel Jochen Muhs

Das Ende des 2. Weltkrieges vor 60 Jahren

Der zweite Weltkrieg erweist sich als einer der schlimmsten Kriege in der Menschheitsgeschichte. Während den Kriegsjahren 1939 -1945 haben die Deutschen, geführt vom Diktator Hitler und seinen Helfern, in fast ganz Europa gewütet und viele Leiden hervorgebracht. Insbesondere in Osteuropa haben sie große Zerstörungen hinterlassen. 1943 wurde der Vormarsch der Deutschen gestoppt und danach unaufhaltsam von den Siegermächten (Alliierten) zurückgedrängt.

Die deutsche Zivilbevölkerung erlebte die Folgen des Wütens der Nationalsozialisten. Viele Städte wurden ausgebombt. Millionen Deutsche verließen ihre Heimat in den ehemaligen Ostgebieten vor Furcht und Rache vor der heranrückenden Roten Armee. Mit weit mehr als 50 Millionen Toten ging der Weltkrieg am 8. Mai 1945 in Europa zu Ende. Es war eine Befreiung von der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft über Deutschland und Europa.

Über dieses Thema werden die Lebenserfahrungen von gehörlosen Menschen während der NS-Zeit miteinbezogen. Die Organisation der Gehörlosenverbände nach der Gleichschaltung, die Erfahrungen in der Hitlerjugend und die Folgen des Rassenwahns (Judenverfolgung, Zwangsterilisierungen und Euthanasie) für die Gehörlosen werden behandelt. Schließlich wird der Umgang mit der NS-Vergangenheit in der Nachkriegsgeschichte besprochen.




Mark Zaurov, Hamburg
M.A., Historiker,
Vorsitzender Interessengemeinschaft Gehörloser jüdischer Abstammung Deutschland


Mark Zaurov

Der Holocaust und die gehörlosen Juden

Der Holokaust mit seiner (durch Nazi-Deutsche organisierten und durchgeführten) industrieartigen Vernichtung der europäischen Juden kostete 6 Millionen Juden, darunter 6000 gehörlose Juden, das Leben. Dieser wurde durch die Befreiung der Alliierten vor 60 Jahren beendet. Der Holokaust markierte eine Zäsur in der Geschichte der deutsch-jüdischen Beziehung. Gleichwohl war es auch ein Tiefpunkt für das Verhältnis zwischen gehörlosen jüdischen Deutschen und gehörlosen Deutschen.

Denn es waren doch ebenso gehörlose jüdische Deutsche, die sich erfolgreich für die Gründung des REGEDE einsetzten und im Nachhinein von der NS-REGEDE ausgeschlossen wurden mit weitreichende Folgen. Auch ebneten gehörlose jüdische Deutsche als „Vertreter“ der Gehörlosengemeinschaft durch ihr Engagement die Wege für Gehörlose in der Gesellschaft und Bildung (Schule, Universität etc.). Ihre Beiträge wurden bis heute in der Gehörlosengemeinschaft nicht gewürdigt. Der Vortrag handelt zunächst über die Begriffe „Holocaust/Shoah“ im Hinblick auf „Bomben-Holocaust“. Diesbezügliche Gebärden wie auch historische Gebärden werden vorgestellt. Weiterhin wird über die deutsch-jüdische Gehörlosengemeinschaft referiert.




Marie-France Percevault, Orleans  und  Bernard Truffaut, Paris, Frankreich

Marie-France Percevault Bernard Truffaut

Die gehörlosen Franzosen während des 2. Weltkrieges -
Forschungen in Frankreich über den 2. Weltkrieg und NS-Deutschland

Das Ziel dieses Vortrages ist es, die Geschichte der französischen Gehörlosen den deutschen Gehörlosen näher zu bringen. Nach und nach lernen sich die Gehörlosen dieser beiden Länder besser kennen. Dadurch werden ihre Beziehungen zueinander enger und stärker.
Zunächst wird über frühere Beziehungen zwischen deutschen und französischen Gehörlosen berichtet und über die Idee der Rassenhygiene in den USA und in Europa vor 1939 erläutert.
Über die Lebenssituation der französischen Gehörlosen während der Zeit von 1939 bis 1945 herrscht bis heute keine vollständige Klarheit. Die Geschichtsforschung kann uns nur über einzelne Teilbereiche aufklären. Folgende Themen wollen die Referenten in chronologischer Reihenfolge präsentieren:
1) Der „merkwürdige Krieg“ (September 1939 bis Mai 1940)
2) Der Krieg (10. Mai bis 22. Juni 1940)
3) Die Deutsche Besatzung in Frankreich (1940-1944)
4) Die Befreiung (nach dem 6. Juni 1944)
Zum Schluss wollen die Referenten daran erinnern, dass unsere Hände, nicht die Zeichen des Krieges, als Gebärden den Frieden und die Zusammengehörigkeit zeigen können.





Dr. Hans-Uwe Feige, Leipzig
Historiker, Vorsitzender Gesellschaft für Gebärdensprache und Kommunikation Gehörloser

Hans-Uwe Feige

Die Geschichte des Gehörlosenverbandes in der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (DDR) von der Gründung bis zur Wende

Am 31.5.1957 wurde in Halle/Saale der „Allgemeine Deutsche Gehörlosenverband der DDR“ (ADGV) gegründet. Seit Oktober 1960 durften auch Schwerhörige sowie Hörende (maximal 10% der Mitgliedschaft) dem Verband beitreten. Der ADGV verfolgte von Anfang an primär sozialpolitische Ziele. Zu seinen ersten Erfolgen zählte die Befreiung Gehörloser von Rundfunkgebühren (1964). Auf dem Stockholmer Weltkongreß der Gehörlosen 1963 wurde der ADGV- gegen den massiven Widerstand der bundesdeutschen und österreichischen Vertreter- in den Weltverband der Gehörlosen (WFD) aufgenommen.

1973 erfolgte die Umbenennung des ADGV in „Gehörlosen- und Schwerhörigenverband der DDR“. 1981 und 1987 wurde der GSV mit dem „Vaterländischen Verdienstorden der DDR“ in Gold dekoriert. Seine enge Verzahnung mit der Politik der Sozialistischen Einheitspartei (SED) trug nicht unwesentlich zur Auflösung des Verbandes nach dem Fall der Mauer bei.




Martin Domke, Dresden
Vorsitzender Landesverband der Gehörlosen Sachsen

Martin Domke

Mein Leben in der DDR und Erlebnisse nach der Wende als Vorsitzender des Gehörlosen-Landesverbandes in Sachsen

Martin Domke wurde 1953 in Frankfurt/Oder geboren, er ertaubte im 5. Lebensjahr. Seine Eltern sind gehörlos, ebenso seine Großeltern. Seine Mutter nahm als Delegierte des Bezirks Frankfurt/Oder bei der Gründung des Allgemeinen Deutschen Gehörlosenverbandes (ADGV) 1957 in Halle teil, arbeitete danach als Sekretärin in der Bezirksorganisation. Nach dem Umzug nach Dresden besuchte Martin Domke die Schwerhörigenschulen Leipzig und Dresden. In Berlin machte Domke das Abitur, wo es die einzige erweiterte Oberschule für Schwerhörige gab.

Nach der Lehre als Facharbeiter für Elektronische Datenverarbeitung in Bad Berka absolvierte Domke ein Fernstudium als Diplomingenieur für Informationsverarbeitung (heute Informatik). Danach arbeitete er als Programmierer und bis nach der Wende als Forschungsingenieur. Seit 1992 ist er als Angestellter im Sächsischen Staatsministerium für Soziales tätig.

Nach der Wende im Jahre 1990 wurde der Landesverband der Gehörlosen Sachsen wieder gegründet. Seit dieser Gründung bis heute ist Domke 1. Landesvorsitzender, ebenso 1. Vorsitzender des Stadtverbandes der Gehörlosen Dresden e.V., der 1991 gegründet wurde. Von 1991 bis 1995 war Domke Vizepräsident des Deutschen Gehörlosen-Bundes.




Helmut Vogel mit Friedrich Waldow, Essen
Ehrenpräsident Deutscher Gehörlosen-Sportverband,
Herausgeber Deutsche Gehörlosen-Zeitung


Friedrich Waldow

Das Leben und Wirken von Friedrich Waldow anlässlich des 90. Geburtstages und die Deutsche Gehörlosen-Zeitung

Am 13. Januar 2005 ist Friedrich Waldow 90 Jahre alt geworden. Er ist ein Vordenker für die deutsche Gehörlosengemeinschaft, eine bedeutende Persönlichkeit in der Gehörlosengeschichte des 20. Jahrhunderts.
Man muss sich erst über die Herkunft und das Leben Friedrich Waldows in der ersten Jahrhunderthälfte klar werden, damit seine einzigartige Persönlichkeit begriffen werden kann. Friedrich Waldows erste Heimat war Stettin in Pommern (heute zu Polen gehörig).

Mit der Herausgabe der Deutschen Gehörlosen-Zeitung seit 1950 war ihm die Möglichkeit gegeben, sich einen Überblick über die Lebenssituation der Gehörlosen in ganz Deutschland zu verschaffen. So konnte er zu allen Fragen Stellung nehmen. In diesem Sinne war die DGZ die politische Zeitschrift der zweiten Jahrhunderthälfte.

Jahrzehntelang wirkte Friedrich Waldow in führender Stellung im Deutschen Gehörlosen-Sportverband. Für die deutsche Gehörlosenkultur ist die Bedeutung des Gehörlosensportes groß, so dass der Sport die Identität der Gehörlosen geprägt hat. Die hervorragend organisierten Weltspiele der Gehörlosen in Köln 1981 sind ein Beispiel für die gut funktionierende deutsche Gehörlosensportgemeinschaft.




Gerlinde Gerkens, Kiel
Präsidentin Deutscher Gehörlosen-Bund

Gerlinde Gerkens

Ihr Leben in der BRD und Erlebnisse in der Verbandsarbeit bis
zum Amt als 1. Präsidentin des Deutschen Gehörlosen-Bundes


Gerlinde Gerkens wurde am 1. Juli 1945 als Tochter gehörloser Eltern in Hamm/Westfalen geboren. Sie ist von Geburt an gehörlos und hat einen gehörlosen Bruder.
Ihre ehrenamtlichen Tätigkeiten hat sie von 1965 bis 1979 mehr in kleinen Selbsthilfegruppen und im Hintergrund ausgeübt. Im Jahre 1980 wurde sie stellvertretende Vorsitzende des Kieler Gehörlosenvereins und gleichzeitig in den Vorstand des Gehörlosen-Verbandes Schleswig-Holstein gewählt. Seit 1986 fungiert sie als 1. Landesvorsitzende. Darüber hinaus gründete sie 1983 die Arbeitsgemeinschaft zur Förderung Hörgeschädigter im Großraum Kiel, die sie bis 2004 als 1. Vorsitzende leitete. In 1987 wurden im von ihr errichteten Zentrum die Landesdolmetscherzentrale und der Sozialdienst für Gehörlose in Schleswig-Holstein aufgebaut, die bis heute unter der Leitung von Gerlinde Gerkens geführt werden.

Gerlinde Gerkens wurde 1989 Mitglied im Präsidium des Deutschen Gehörlosen-Bundes. 1994 wurde sie dort Vizepräsidentin, seit 1999 die erste und einzige weibliche Präsidentin bis heute. Kennzeichnend für ihre vielfältigen ehrenamtlichen Tätigkeiten ist ihr unermüdlicher Einsatz für die gesetzliche Anerkennung der Deutschen Gebärdensprache, für die reibungslose Umsetzung dieses Rechts in die Praxis und für die Chancengleichheit gehörloser Menschen auf allen Ebenen im gesellschaftlichen und politischen Leben.




Podiumsdiskussion
„Aus der Vergangenheit in die Zukunft schauen: Erkenntnisse und Anregungen“
mit anschließender freien Diskussion


Rahmenprogramm

Rudolf Werner Kunstausstellung

Rudolf Werner

Eine Kunstausstellung mit Bildern von Rudolf Werner, dem bekannten gehörlosen Kunstmaler aus Wuppertal, ist während des Symposiums zu besichtigen. Seine Bilder zeigen den Wandel des Selbstbewusstseins Gehörloser in den letzten zwei Jahrzehnten.

Ausstellung von Lothar Scharf
Lothar Scharf wird verschiedene Original-Dokumente und Gegenstände aus der NS-Zeit ausstellen, da er vor kurzem ein Buch: „Gehörlose in der Hitlerjugend und Taubstummenanstalt Bayreuth“ geschrieben und herausgegeben hat.

Infotafeln über die Israelitische Taubstummenanstalt Berlin-Weissensee
Ein paar Tafeln mit Fotobildern und Dokumenten zur Israelitischen Taubstummenanstalt in Berlin (1873-1942) und zu gehörlosen Juden werden ausgestellt. Sie stammen aus den damaligen Forschungen von Nicola Galliner und ihrer Gruppe, und wurden von Prof. Renate Fischer (Universität Hamburg) zur Verfügung gestellt.


Filmvorführung „Hanna“
vom Internationalen Visuellen Theater Paris/Frankreich (mit deutschen Untertiteln)

David de Keyzer und Philippe Berthe, beide von CinèSourds (=Gehörlosenfilme) aus Reims, stellen den einstündigen DVD-Film „Hanna“ mit deutschen Untertiteln vor. Das Internationale Visuelle Theater (IVT) aus Paris hat das erfolgreiche Stück „Hanna“ in den 90er Jahren aufgeführt. Dieses Stück hat CinéSourds 2002 auf DVD herausgebracht.

Inhalt des Filmes: Hanna, eine junge Gehörlose, musste in der NS-Zeit ihre gehörlose Familie wegen der drohenden Sterilisation verlieren und untertauchen. Ein solcher Film ist ein Beispiel für uns in Deutschland, wie wir auch in Zukunft diese „Erinnerungsarbeit“ in unsere Kulturarbeit einbeziehen.


Geselliger Abend mit Quizshow von Herbert Christ, Berlin

Quizmaster Herbert Christ wird diesmal die Fragen zur Gehörlosenkultur und -geschichte des 20. Jahrhunderts stellen. Teilweise stammen die Fragen aus den Vorträgen des Symposiums. Wie bei der Benefizveranstaltung 2003 in Hamburg und bei der 2. Jahrestagung 2004 in Heidelberg erhalten die Bestplatzierten schöne Sachpreise.


Führungen
im Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland
mit Helmut Vogel und Jochen Muhs

Aus dem Flyer (siehe auch www.hdg.de):
In unserer Dauerausstellung erleben Sie deutsche Zeitgeschichte – nah und persönlich. Originale, anschaulich in Szene gesetzt, erzählen deutsche Geschichte vom Ende des zweiten Weltkriegs bis in die unmittelbare Gegenwart. Erinnern Sie sich an Ihre eigenen Erlebnisse. Entdecken Sie Zusammenhänge. Gegenstände, Dokumente, Fotos und Filme helfen Ihnen dabei. Das Museum wird zum Ort der Diskussion – auch zwischen den Generationen.

Listen zum Anmelden für die Gruppenführungen sind während des Symposiums ausgelegt.
Bis zu 30 Personen können jeweils bei einer Führung teilnehmen.




Kontakt zu Referenten (E-Mail-Adressen)

Helmut Vogel  Helmut.Vogel@kugg.de

Jochen Muhs
  Jochen.Muhs@kugg.de

Mark Zaurov
 

Marie-France Percevault  

Bernard Truffaut  

Hans-Uwe Feige  

Martin Domke  

Friedrich Waldow  

Gerlinde Gerkens 


 
   
 
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Referenten

Helmut Vogel

Jochen Muhs

Mark Zaurov

M.F. Percevault

Bernard Truffaut

Hans Uwe Feige

Martin Domke

Friedrich Waldow

Gerlinde Gerkens


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