Abstracts
Helmut Vogel
Gehörlosenkultur in Deutschland
mit dem Blick in die Vergangenheit
Der Begriff „Gehörlosenkultur“ hat sich
in letzten Jahrzehnten entwickelt und heutzutage durchgesetzt.
Zuerst haben die Gehörlosen sich ein Bewusstsein gegenüber
der eigenen Sprache entwickelt, und dann der eigenen Kultur
und Geschichte. Die Anziehungskraft des Begriffes „Gehörlosenkultur“
beruht auf dem expliziten und dynamischen Sinn. Das ist ein
Unterschied zum früheren Begriff „Gehörlosenwelt“,
aber auch zu anderen Deutungen, z.B. „Gehörlos
so“.
Danach werden einige bedeutende historischen Ereignisse für
die Gehörlosen in Deutschland im Überblick vorgestellt:
Erster Gehörlosenverein 1848, Kampf gegen Unterdrückung
der Gebärdensprache ab 1870, Gründung der bundesweiten
Verbände Regede 1927 und DGB 1950, Gehörlosensportbewegung
und Einsatz für die Anerkennung der Gebärdensprache.
Dadurch können die ähnlichen Merkmale betreffs dem
Selbstverständnis der Gehörlosen in der Vergangenheit
und der Gegenwart aus der Sicht der Deaf History festgestellt
werden.
Gertrud Mally
Leben und Wirken des Künstlers
Albert Fischer "Fise"
|
Gedanken
zur Ausstellung:
Das Lebenswerk von Fise alias Albert Fischer |
Wir, die Gehörlosen in Deutschland, sind um eine hervorragende
Persönlichkeit in der Gehörlosenkunst ärmer
geworden. Gerade als der gehörlose Albert den Höhepunkt
seiner großartigen, imposanten Kunsttätigkeit erreichte.
Der am Ende letzten Jahres verstorbene Albert Fischer schuf
mit viel Liebe und kreativer Schöpfung unzählige
Kunstwerke, mit deren er die unterdrückte und verborgene
Gehörlosenidentität expansiv ans Tageslicht brachte.
Zu Zeiten der politischen Emanzipationsbewegung gehörloser
Menschen konnte die Gehörlosenkultur ihren Platz auch
in der Kunst einnehmen. Das Bekenntnis zur Gebärdensprache
als eigenständige Sprache der Gehörlosen und somit
zur Gehörlosenidentität widerspiegelt sich in seinen
Öl- und Aquarellbildern.
Die Ausstellung wird allen Besuchern, gehörlosen Kunstliebhabern
oder Künstlern einen Einblick in sein Lebenswerk geben
und sie bewusst machen, dass auch die Gehörlosenkultur
sich in der Kunst ausdrücken kann. Sie soll allen, insbesondere
unsere nächste Generation, als ein beispielloses Vorbild
dienen.
Simon Kollien
Ansätze zur Erforschung bzw. Bestimmung
des Begriffs Gehörlosenkultur
Ausgehend von den Überlegungen von Hessmann/Weinmeister
auf der Tagung der GGKG 2003 in Magdeburg wird der Referent
kurz über den Stand der Definition des Begriffs "Gehörlosenkultur"
referieren.
Bisher konnte diese Definition der Gehörlosenkultur nicht
ausreichend die Verwirrung unter den Interessenten angesichts
dieses Themenkomplexes abbauen. In seinen Seminaren beschäftigt
sich Simon Kollien ebenfalls mit Inhalten, die der Gehörlosenkultur
zugeordnet werden, wie die Gebärdensprachpoesie oder
"typische" Verhaltensweisen Gehörloser. Diese
werden in einem Überblick vorgestellt.
Anschließend wird erörtert, inwiefern sie im Zusammenhang
mit dem Kulturbegriff stehen und eingeordnet werden können.
Dazu werden Ansätze bzw. Perspektiven aus verschiedenen
Disziplinen der allgemeinen Kulturwissenschaften miteinbezogen
und Übertragungsmöglichkeiten diskutiert.
Satu Worseck
Gehörlosenkultur in Finnland
In den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts haben gehörlose
Menschen in Finnland lebhaft darüber diskutiert, ob sie
gehörlose oder gebärdensprachige Menschen sind.
Die Bezeichnung "gebärdensprachige Menschen"
ist neu und meint Personen, die täglich die Gebärdensprache
nutzen und die die Gebärdensprache als ihre Mutter- oder
Erstsprache ansehen.
Das Konzept vom gebärdensprachigen Menschen zeigt uns
eine andere Sichtweise im Vergleich zum Konzept des "gehörlosen
Menschen". Erstere hat die sprachliche und kulturelle
Minderheit im Fokus. Auch wenn sich Gehörlose als gebärdensprachige
Menschen identifizieren, merken sie, wie wichtig die Bezeichnung
"gehörlos" für ihre Identität ist.
Die Bezeichnung "gehörlos", wie auch taubstumm,
taub, hörgeschädigt usw., entstammen aus der Medizin
und wecken bei Hörenden eher negative Assoziationen.
Die Gehörlosen sehen sich selbst nicht als behindert
an. Ihre Sprache, die Gebärdensprache ist der wichtigste
Teil der Gehörlosenkultur, ohne sie die Gehörlosenkultur
nicht existieren würde.
Catherine Tangalou
Gehörlosenkultur in Griechenland
mit eigenen Erfahrungen zur Arbeit mit dem Theater und der
Kunst
Im Vortrag werden die mannigfaltigen Aspekte der griechischen
Gehörlosenkultur aus einer kunsttheoretischen Perspektive
angesprochen. Soziokulturelle und geschichtliche Ansätze
werden auch berücksichtigt.
Darüber hinaus wird aus eigenen pädagogischen Erfahrungen
zur Arbeit mit der Kunst, und insbesondere mit dem Gebärdensprachtheater,
die kulturfördernde Kraft des Theaters für die Identität
der Gehörlosen als Mitglieder einer Sprachgemeinschaft
in Betracht gezogen.
Das Gebärdensprachtheater trägt zur bewussten Reflexion
der griechischen Gebärdensprache als kultureller Basis
der griechischen Gehörlosengemeinschaft entscheidend
bei. Der Zusammenhang von Sprache und Kultur wird daher klar
veranschaulicht.
Chrissostomos Papaspyrou
Bedeutung der Begriffe „Sprache“,
„Kultur“ und „Zivilisation“ für
das Nachdenken zur Gehörlosenkultur
Sprache, Kultur und Zivilisation sind drei sehr wichtige
Begriffe für das Verständnis der Entwicklung aller
Menschengemeinschaften. Diese Begriffe werden in diesem Vortrag
erklärt und in ein zusammenfassendes Schema gebracht,
um zu zeigen, wie sie in der Tat wechselseitig einander beeinflussen
und bestimmen.
Die allgemeine Deutung von Sprache, Kultur und Zivilisation
soll darüber hinaus dazu dienen, den Sachverhalt der
Gehörlosenkultur genau zu bestimmen, damit wir die weitaus
unterschiedlichen und zum Teil auch widersprüchlichen
Auffassungen von der Gehörlosenkultur unter einem gemeinsamen
Nenner bringen können.
Paddy Ladd
Gehörlosenkultur verstehen! Auf
der Suche nach "Deafhood"
Abstract zu seinem Buch (deutsch übersetzt)
Dieses Buch stellt einen "Reiseführer" zur
Gehörlosenkultur dar, von der Annahme ausgehend, dass
Gehörlosenkulturen einen wichtigen Beitrag zu anderen
akademischen Disziplinen und allgemeinen Lebenssituationen
der Menschen zu leisten haben. Innerhalb und außerhalb
der Gehörlosen-gemeinschaften gibt es eine Notwendigkeit,
eine Beschreibung von dem neuen Konzept zur Gehörlosenkultur
zu machen, welches den Lesern und Forschern ermöglicht,
seinen Platz neben den Arbeiten zu anderen Minoritätskulturen
und mehrsprachigen Abhandlungen festzusetzen.
Das Buch macht die Konzepte der Kultur, ihre gemeinsamen
Begriffe und ihre vielen Erscheinungen zugänglich, und
wendet diese auf die Gehörlosengemeinschaften an. Der
Autor veranschaulicht die Fallen, die für diese Gemeinschaften
durch das gedankenlose Festhalten am medizinischen Konzept
von der "Gehörlosigkeit" verursacht worden
sind, und kontrastiert dies mit seinem neuen Konzept von der
"Deafhood", der ein Prozess jedes gehörlosen
Kindes, Familie und Erwachsener implizit erklärt, ihre
Existenz in der Welt zu sich selbst und zu den anderen.
Die Absicht des Buches ist eine Reise, die der Autor und
der Leser gemeinsam machen, und sie dabei zu einem Dialog
ermutigt. Dies führt zur Möglichkeit einer ganz
besonderen und anregenden Zeit mit gegenseitiger Befruchtung
verschiedener Aspekte zur mehrsprachigen und multikulturellen
Entwicklung.
Freie Diskussion am Ende
der Jahrestagung
Offene Fragen können mit allen Referenten erörtert
werden. |