David Ludwig Bloch: "NEVER AGAIN - NIE WIEDER"
Der gehörlose jüdische Holocaust-Maler
Nachruf von Mark Zaurov, 2002
Im Zuge meiner Dissertationsarbeit, die mit gehörlosen jüdischen
Personen aus Kunst, Politik und Wissenschaft beschäftigt (wie
beim Artikel über Richard Liebermann in: Das Zeichen, Nr.59),
forsche ich seit geraumer Zeit auch über David Bloch. Dessen
Tod lässt mich nun mehr die längst geplante Fortsetzung
der Reihe gehörloser deutscher jüdischer Künstler
(wie Liebermann, Hartogh, H. Bloch, Spiegel, über die gesondert
berichtet wird) niederzuschreiben, die den Holocaust überlebt
haben und heute über Ihre Existenz (außer D. Bloch und
Liebermann) in der Gehörlosengemeinschaft kaum Kenntnis genommen
werden und sie auch in der Gebärdensprachgemeinschaft relativ
unbekannt sind. (Vorträge über die hiesigen Personen wurden
in DHI (2000) und Deaf Way 2 (2002) in Washington D.C. abgehalten)
Am Yom Kippur (dem Versöhnungsfesttag
der Juden), den 16.09.2002, verstarb David Bloch, der sog. Holocaust-Maler
im Alter von 92 Jahre friedlich am Sonntagmorgen im Staate New York.
Sein Herz hörte auf weiter zu schlagen an dem Tag, wo die Juden
an ihre Vorfahren gedenken und Gott um Vergebung für ihre Sünden
bitten. Wie sein Sohn Dean sagt, öffnete sich der Himmel für
ihn an diesem Tag. Gemäß jüdischer Tradition wurde
er innerhalb von 24 Stunden eingeäschert, die reformistische
Juden durchführen (da Einäscherung in orthodoxen Kreisen
verboten ist).
Bloch wurde durch seine Bilder über den Holocaust und
Holzschnitte über sein Exil in Shanghai berühmt, die in
ihrer Arbeit einzigartig sind und in ihrer Ausdruckskraft unübertroffen
sind. In Fachkreisen werden Blochs Werke besprochen wie in Thompson
"A mission in art" und Neugebauer "Zwischen Theben
und Shanghai: Jüdische Exilanten in China - chinesische Exilanten
in Europa" (Neugebauer, S. 135-155) und Hoster (u. a.) "David
Ludwig Bloch: Holzschnitte/Woodcuts. Shanghai 1940-1949" sowie
dem kürzlich publizierten Buch "Deaf Artists in America.
Colonial to Contemporary" von Deborah M. Sonnenstrahl, die
aus einer Perspektive als erste gehörlose jüdische Frau
David Blochs Werke analysiert. Sonnenstrahl benennt ihn (wie wahr)
als "Artist of the Holocaust" (Sonnenstrahl, S. 182).
Für Thompson (wie aus dem Titelbuch schon entnommen) führte
Bloch durch seine Bilder eine Mission, nämlich dem Vergessen
der Nazi-Verbrechen und Holocaust entgegenzugehen wie mit seinen
Bildtiteln "Never again".
Gehörlosen, Deaf Historikern und anderen Personen ist Blochs
Zeichnung auf der Titelseite von Biesolds Buch "Klagende Hände"
noch sehr bekannt. Insbesondere ist sein Spruch "Nie wieder"
sein Leitwort gewesen, das sich auf den Holocaust bezieht.
David Bloch wurde am 1910 in Floß/Oberpfalz geboren und ertaubte
im Alter von eins. David wurde kurz nach der Geburt Vollwaise und
von seiner Großmutter erzogen. Er besuchte die Taubstummenschule
in München von 1915-1923 und in Jena von 123-1925. 1925 lernte
er im Alter von 15 Jahre zunächst in Plankenhammer bei Floß
das Handwerk der Porzellanmalerei, später an der staatlichen
Fachschule für Porzellanindustrie in Selb von 1927-1930. Danach
arbeitete er von 1930-32 als Mustermaler in der Porzellanfabrik
"Gebrüder Bauscher" in Weiden.
Durch die Weltwirtschaftskrise wurde er arbeitslos. Erst 1934 erhielt
Bloch durch ein Stipendium einer jüdischen Stiftung die Möglichkeit
die Holzschnitzerei an der staatliche für angewandte Kunst
in München zu studieren, die in seinen späten Werken zugute
kam. Zwischen 1936 - 38 arbeitete er als Werbegraphiker und Dekorateur
für das Kaufhaus Salinger und Sauter in Straubing, während
er zwischendurch das Studium wieder aufnahm, wurde aber im November
1938 wegen seinem Judentum ausgeschlossen.
Durch die Wirren der Reichskristallnacht am 9./10. November 1938
wurde er inhaftiert und nach KZ Dachau interniert, wo er dort den
gehörlosen jüdischen Maler, Richard Liebermann erspähte.
(siehe auch Zaurov in: Das Zeichen, Nr. 59) Er war im KZ Dachau
für vier Wochen interniert, ohne Liebermann wieder und um die
Uhr marschieren. Bei der Erwiderung einer Anfragung, wer nach Amerika
gehen will, wurde er mit anderen Ausreisewilligen später freigelassen.
Durch die überraschende Hilfe seines amerikanischen Cousins
bekam er die nötigen Papieren und Geld nach Shanghai. Man konnte
nach Shanghai zwar ohne Visum kommen, musste aber einen Guthaben
von 400$ nachweisen. Nach der Freilassung arbeitete er als Angestellter
in München bis zu seiner Emigration nach Schanghai 1940. David
sah noch vor der Emigration, wie sein Auftraggeber, der ihn für
Malereiarbeiten für 3-4 Monate beschäftigte und vom Prediger
gedrängt wurde nach Südamerika zu gehen, von der Gestapo
abgeholt und zwei Monate später verstarb.
Mit dem vorletzten Schiff reiste er aus Italien per Schiff nach
Shanghai aus. 1943-1945 setzten die japanischen Besatzer alle staatenlosen
jüdischen Emigranten in ein von Stacheldraht umzäuntes
Ghetto, darunter ihn, in einem ärmlichen und kriegsbeschädigten
Viertel in Shanghai. Nach der Auflösung des Ghettos 1945 heiratete
David 1946 die gehörlose Chinesin Lilly Cheng Disiu, die ihm
zwei Söhne (Dean und Daniel) gebar. Dort malte er Bilder über
den chinesischen Alltag und war Mitglied des ARTA (Association of
Jewish Artists and Lovers of Fine Art). Die Shanghai-Bilder wurden
1997 mit dem Institut "Monumenta Serica" und "China-Zentrum"
im "Museum Haus Völker und Kulturen" im Kloster St.
Augustin bei Bonn mit Hilfe seiner Tochter Lydia Abel durchgeführt
(die früher noch dachte, er sei ermordet worden) und von Ignaz
Bubis, dem verstorbenen Vorsitzenden des Zentralrats der Juden,
eröffnet worden (siehe auch Biesold in: Das Zeichen, Nr. 41,
S. 422-424). Hier fertigte er seine Holzschnitte mit einem eigenem
Stil aus der Perspektive eines "Exilanten, des Künstlers
in der Diaspora", aus einem "Blick eines Außenseiters
(Ausländer, gehör- und sprachlos,
) auf gesellschaftliche
Außenseiter". (Neugebauer, S. 141)
1949 wanderte er in die USA mit seiner Frau aus. In den USA war
David Bloch für 26 Jahre als Lithographer beschäftigt
und arbeitete 1969 an dem chinesischen Porzellan des Weissen Hauses
für Präsident Lyndon Johnson, die die Blumen jedes amerikanischen
Bundesstaates darstellten. Dieser Auftrag ließ ihn als "echten
Amerikaner" fühlen. (Neugebauer, S. 145) Ansonsten hatte
er kein Motiv, ohne die er nicht arbeiten konnte. Er malte verschiedene
Bilder über Martha Vineyard und den chinesischen Szenen, die
nichts über seine späteren Holocaust-Arbeiten vorahnen
ließen.
Erst in den 80er Jahren nach seiner Pensionierung und dem Besuch
vom KZ Dachau 1976 verarbeitete er seine Holocaust-Erlebnisse in
seinen Bildern (zwischen 1977-81 50 blaugetönte Acrylbilder
und 21 Holzschnitte (Neugebauer. S. 146)), die im Laufe der Jahre
in verschiedenen Ausstellungen und TV-Sendungen verbreitet wurden.
1989 wurden 12 seiner Bilder zusammen mit der Fotoausstellung "In
der Nacht", die über Schicksale jüdischer Gehörloser
in Deutschland berichtet (siehe auch Biesold, Das Zeichen, Nr. 5/88,
S.98-100) im Rahmen der ersten Deaf Way International Art-Veranstaltung,
die von über 5000 Besuchern aus allen Weltteilen besucht wurde,
ausgestellt. Bloch erhielt für seine Leistungen den Kulturpreis
der Kulturtage 1997 in Dresden.
Wir trafen uns erstmals in den Kulturtagen der Gehörlosen 1993
in Hamburg, wo er damals erwähnte mit den deutschen Gehörlosen
über die Vergangenheit nicht zu debattieren, da es zwecklos
wäre. Damals dachte ich noch nicht daran über gehörlose
Juden zu schreiben, wie ich es jetzt in meiner Dissertation betreibe.
Wir trafen uns wieder und sprachen oft über sein Leben und
anderer gehörlosen jüdischen Personen sowie seine Erlebnisse
wie mit Hitler. Er erzählte amüsiert und verwundert in
unserem Interview, wie ein bewachter und so mächtiger Hitler
in seinem Wagen ängstlich und nervös herumblickte, als
Bloch gerade aus dem Hotel in München kam und ein Taxi nahm.
Er erzählte auch im Interview seine Erfahrungen in der Reichskristallnacht,
die er im Bild "Knock on Midnight" verarbeitete. Im Bild
wird eine überraschte, geschockte Familie in Schlafanzügen
in der blauen Dunkelheit der Nacht von der Gestapo besucht, wo ein
Polizist vor dem Haus von hinten einen Juden mit einer Kippa mit
einem Gewehr an der Wand hält, während der andere aus
einer Liste vorliest und ein Jude aus der Treppe mit einem Polizist
aus der beleuchtete Wohnung hinabsteigt und die Frauen weinen. Im
Bild wird kein spezifischer Platz oder Person wie Bloch sichtbar.
Nach Thompson ist eines von den unveränderlichen Variablen
der Merkmale der Holocaust-Kunst, dass es nicht nur hoch autobiographisch
ist, sondern hinzu mehr tendiert die ganze Gruppengeschichte zu
erfassen als des Individuums (Thompson, S. 22).
In der Tat werden in all den Panoramabildern in Acryl mit ihren
ungewöhnlichen querförmigen Breitgrößen die
Geschichte und Ablauf des Holocaust skizziert, das man es gar als
ein soziologisch-geschichtliches visuelles Werk bezeichnen kann.
Neugebauer sieht es "in scheinbar freundlich naivem Stil die
ganze Bandbreite der systematischen Perfidie, mit der die nazistische
Vernichtungsmaschinerie zu Werke ging" (Neugebauer, S. 146).
Während des Jüdischen Nationalen Kongress in Washington
D.C. 2001 schenkte David Bloch mir eine Lithographie, deren Auflage
sehr limitiert ist. Immer wieder schaue ich seine Lithographie und
bewunderte, wie er die Atmosphäre der damaligen Situation im
KZ Dachau eindringlich einfing. Im Bild wird das KZ Dachau mit bläulichem
Hintergrund (eine oft von Bloch benutzte Farbe und mit Melancholie
und Tod verbunden wird) von Scheinwerfern beleuchtet, wo die zahllosen
Personen in säuberlichen, geordneten Reihen aufgestellt abgebildet
sind. Oben ist ein geschlossenes Auge zu ersehen. Rechts ist das
gelbe Abzeichen mit seiner Nummer hinzugestellt. Bloch, selbst nicht
religiös, wollte mit dem Auge sagen, wo denn Gott blieb und
warum er nicht half.
Seine Bilder sind bis heute einzigartige überlieferte Dokumente
der Schrecken im KZ aus den Augen eines Gehörlosen. Man kann
von den Bildern sehen, wie traumatisiert der Holocaust für
seine Erinnerungen war. Es ist eine sehr spezielle Kunstform "von
erschütternder Intensität und bildnerischer Kraft"
(Neugebauer, S. 146). Sonnenstrahl nennt ihn einen typischen von
der deutschen Expressionismus wie der von Nolde und Kirchner beeinflussten
Kunstmaler (Sonnenstrahl, S. 184), während Neugebauer (auch
bekannt unter dem Namen Dr. Gräfin von Schulenburg) dies einen
symbolischen verdichten "expressiven Pattern" nennt (Neugebauer,
S. 147).
Seine Bilder wurden noch im jüdischen Museum in München
2000 ausgestellt. Ein Bild von ihm wurde von der Gedenkstätte
KZ Dachau aufgekauft. Weitere sollen in Buchenwald, Auschwitz etc.
existieren. Warum Bloch in keiner Dauerausstellung eines deutschen
Kunstmuseums vertreten ist, liegt nach Neugebauer darin, dass er
aus Nazi-Deutschland emigrierte und in USA lebt und "sein künstlerisches
Werk weder in die inzwischen längst etablierten Kunstströmungen
der Avantgarde einordnen (lässt), noch ist es sonderlich dekorativ
oder repräsentativ, somit als Wohnzimmer-Schmuck oder für
das Sparkassen-Foyer wenig geeignet". (Neugebauer, S. 136)
Diese sind vom Holocaust und des Exils geprägt, welche für
Deutsche schwer verdaulich ist, und "zeigt die Brüche
eines deutsch-jüdischen Lebens". (ebd.)
Wie oben erwähnt, sagte Bloch mir, dass seine Bilder schon
genug die deutschen Gehörlosen direkt ansprechen, ohne mit
ihnen debattieren zu müssen. Bloch führte seine "Mission"
aufgrund seiner Gehörlosigkeit nicht akustisch oder schriftlich,
sondern visuell per Metaphern, nämlich in der Bildsprache das
Ungesagte des Leidens als "Historiker" zu artikulieren
und zwar vom Anfang bis zum Ende. So trägt eines seiner Bilder
den Titel "A-Z".
Seine Gesundheit war schon nicht mehr wie vorher, aber geistlich
war er immer noch auf derselben Höhe. Letztlich konnte ich
selbst mit ihm noch in Deaf Way 2 gebärden und ihn von meiner
Dissertationsarbeit über gehörlose Juden in Deutschland
zeigen. Bei meinen Rückfragen aus unserem letzten Interview
im Jahre 2000 erinnerte er sich immer noch sehr genau an die Zeitabfolgen
vor und während der Holocaustära. David, ich und die anderen
werden immer an Dich denken. David Bloch hinterlässt eine Tochter
(aus einer früheren Beziehung) und zwei Söhne.
Letztlich möchte ich hier noch etwas hinzufügen:
Mich schmerzt es, dass der Deutsche Gehörlosen-Bund (DGB) auf
meinen Vorschlag im Jahre 2000 nicht einging, die lang beantragte
Entschuldigungsstellungnahme des DGBs (1997/98) (die von Ulrich
Hase nicht weiter bearbeitet wurde) als Rechtsnachfolger des Reichsverband
der Gehörlosen Deutschlands (REGEDE) für die Untaten des
REGEDE in den Kulturtagen 2001 in München vor der Gehörlosengemeinschaft
öffentlich vorzutragen und es lieber auf einen "kleineren"
Rahmen (auf Funktionärsebene) in Weimar verschieben will, das
nunmehr ausgefallen ist. Mir ging es darum, dass die immer mehr
aussterbenden Holocaust-Überlebenden dies noch in ihren Tagen
erleben durften. Chaim Apter, David Bloch und W. Millet sind mittlerweile
2001/2002 verstorben und hätten dies noch in München erlebt.
Der DGB hat leider die Gelegenheit verpasst, seinem Format gerecht
zu werden.
Mark Zaurov
(veröffentlicht in der "Lesen statt Hören",
Nr. 5, 2002, S. 17-19)
Literatur:
- Mark Zaurov (Promotionsstudent im Fachbereich Gebärdensprachen
an der Universität Hamburg und IGJAD-Vorsitzender), c/o Binderstr.
34, 20148 Hamburg, Fax:040/42838-6109
- Biesold, Horst: "Schicksale jüdischer Gehörloser
in Deutschland - Beschreibende Fotoausstellung in den USA: "In
der Nacht". In: Das Zeichen, Nr. 5, Hamburg 1988, S.98-100.
- Hoster, Barbara (et. al.): David Ludwig Bloch: Holzschnitte/Woodcuts.
Shanghai 1940-1949, Nettetal 1997.
- Neugebauer, Rosamunde: KZ Dachau - Ghetto Shanghai - Heute New
York. Zu Lebensweg und Werk des Künstlers
- David L. Bloch in: John, Hajo (Hg.): Flucht in die Freiheit, Else-Lasker-Schüler-Gesellschaft
Wuppertal. Chemnitz, Berlin, St. Petersburg 1998, S. 135-155.
- Sonnenstrahl, Deborah: Deaf Artists in America - Colonial to Contemporary,
Dawn Sign Press 2002.
- Thompson, Vivian Alpert: A Mission in Art, Mercer University Press
1988.
- Zaurov, Mark: Spurensuche: Richard Liebermann (1900-1966) - Ein
jüdischer gehörloser Künstler und sein Werk. In:
Das Zeichen, Nr. 59, Hamburg 2002, S. 120-123
Anmerkung des Vorstands:
Wir veröffentlichen den Nachruf von Mark
Zaurov, einem gehörlosen Nichtmitglied. Schließlich wollen
wir den grossen David Ludwig Bloch würdigen.
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