David
Ludwig Bloch (1910-2002)
SEHEN STATT HÖREN
Sendung am 31. Januar 2004
1166. Sendung
Redaktion: Gerhard Schatzdorfer
SIE ÜBERLEBTEN DEN HOLOCAUST
DAVID BLOCH (1910 – 2002)
Moderation Jürgen Stachlewitz:
Hallo, willkommen bei Sehen statt Hören!
Ich bin heute hier in der KZ-Gedenkstätte Dachau. Der Anlass
dafür ist ein ganz besonderer:
Hier wird in diesen Tagen die David-Ludwig-Bloch-Ausstellung eröffnet!
David Bloch, den ja die meisten von Ihnen kennen, musste im Jahr
1938 sein Kunststudium in München plötzlich beenden, als
mit der sogenannten „Reichskristallnacht“ die Judenverfolgung
einsetzte. Er wurde ins KZ Dachau gebracht, kam aber einige Zeit
später noch einmal frei, konnte 1940 die letzte Möglichkeit
nutzen, mit dem Schiff nach Shanghai zu fliehen und lebte danach
in New York. Als alter Mann kam er wieder oft nach Deutschland und
besuchte
auch immer wieder die Gedenkstätte hier in Dachau.
Ausstellungsplakat „Meine
Bilder sind meine Sprache“
J. Stachlewitz weiter: Über diese Ausstellung drehen wir einen
eigenen Filmbericht, den wir Ihnen in einer der nächsten Sendungen
zeigen werden. Heute gibt es bei uns ein Wiedersehen mit David Bloch:
Sie sehen das erste Fernsehinterview, das wir 1992
mit ihm aufgenommen haben und in dem er selbst seine bewegende Lebensgeschichte
erzählt.
Beitrag:
David Bloch: Mein Leben
Gerhard Schatzdorfer
Länge: 17’
Erstausstrahlung: 14. 03. 1993
Jürgen Stachlewitz im Gespräch mit David Bloch, Nürnberg,
im Oktober 1992
Nahaufnahme von David Bloch, darüber Schrift:
David Ludwig Bloch, geboren 1910 in Floss/Oberpfalz, seit dem 1.
Lebensjahr gehörlos,
Porzellanmaler, Maler, Lithograph, gestorben in New York 2002
Jürgen Stachlewitz:
David, mich interessiert zunächst der Abschnitt deines Lebens
von 1910 bis 1940. Du bist hier in Bayern geboren, in Floss. Und
du hast dann die Gehörlosenschule in München besucht.
David Ludwig Bloch:
Es waren damals ganz schlechte Zeiten. Es war der 1. Weltkrieg.
Es gab nichts zu essen, wir hatten keine Butter, keine Milch, keine
Äpfel oder Bananen, kein Eis, keine Plätzchen. Wir haben
einfach gelebt und waren traurig, schwermütig. Es war gerade
für Kinder nicht leicht. Wie im Gefängnis. Deshalb war
ich froh, als nach 8 Jahren die Schule vorbei war. Ich kam dann
nach Jena. Dort hatte ich einen Privatlehrer namens Brauckmann.
Es war ein Glück, so einen Lehrer wie ihn zu finden. Er war
der beste Lehrer meines Lebens. Ich bin ihm heute noch dankbar.
Das dauerte zwei Jahre, und danach fand ich eine Stelle als Porzellanmalerlehrling.
Kinderfoto: David Ludwig Bloch mit
5 Jahren, 1915
Foto Floss Der „Judenberg“ in Floß, Oberpfalz
(Bayern)
Foto Straße in Floss
Klassenfoto Taubstummenanstalt
David als Schüler der Landes-Taubstummenanstalt in München,
1923
Porzellanschule Fachschule für Porzellan-Industrie in Selb,
Oberpfalz, 1927
David als Lehrling
Platzteller
Jürgen Stachlewitz:
Mich interessiert vor allem, was du in dieser Zeit für ein
Gefühl hattest, als der Nationalsozialismus im Anwachsen war,
besonders als gehörloser Jude. Kannst du darüber etwas
erzählen?
David Bloch:
Ich soll nicht vergessen, über Politik zu erzählen? Na
gut, dann pass auf! Ich habe alle Abschnitte der Hitlerzeit erlebt,
nicht erst ab 1933, als er an die Macht kam, sondern auch schon
die Zeit vorher. Da kann ich mich noch gut erinnern, es gab ein
Plakat, das rief alle auf: Kommt zur Theresienwiese, zu einer Kundgebung
von Hitler! Das war 1920.
J. Stachlewitz: Wann? Schon 1920?
D. Bloch: Ja, ich kann mich
auch noch genau erinnern, dass ich den Aufmarsch gesehen habe. Das
war gleich neben der Taubstummenschule, auf der Straße zur
Theresienwiese. Da sind sie vorbei marschiert, mit wehenden Fahnen.
Nur hatten sie damals noch keine Uniformen, sondern Windjacken.
Und dann hat mich etwas sehr erstaunt. Kennst du das Männerfreibad
an der Isar? Das Männerfreibad in der Nähe der Wittelsbacher
Brücke? Dort habe ich zum ersten Mal einen Baum gesehen, an
den lauter Hakenkreuze in gelber Farbe gemalt waren. Ich habe damals
nicht gewusst, was das sein sollte. Dann habe ich meinen Lehrer
gefragt: Was bedeutet dieses Zeichen, so ein Kreuz mit Haken? Und
er sagte: Das ist das neue Zeichen der Nazi-Jugend. Da war ich erstaunt,
das wusste ich noch nicht, dass es die gab. Das war 1920.
Bild von D. Bloch: „Von
A bis Z“ (Von Adolf Hitler bis Zyklon B), Acryl, 1976
Foto: Staatsschule für angewandte Kunst, München, 1935
Modernes Gebäude: Das Gebäude Luisenstraße 37 heute
Jürgen Stachlewitz und David Bloch vor diesem Gebäude:
Hier stand damals die Kunstgewerbeschule. Sie wurde durch Bomben
zerstört. Und hier war David Bloch etwa von 1934 bis 1938 Kunststudent!
Foto: D. Bloch als Student 1935
David Bloch: Der Unterricht
war gut hier. Nur ein Professor, Scharf hieß er, war ein überzeugter
Nazi und hat einmal über eine Arbeit von mir gesagt: Das ist
eine jüdische Frechheit! Na ja. Was sollte ich machen? Ich
habe aber auch schöne Erinnerungen und bin der Schule dankbar.
Bilder von D. Bloch: Blumen-Aquarell,1935,
Zwei Masken,1937, Werbeplakat für Fa. Sauter,1938
Jürgen Stachlewitz:
Und dann hast du es ja auch erlebt, dass eines Abends die Gestapo
zu dir kam und dich mitgenommen hat?
David Bloch: Ja. Das war
so: An einem Morgen, es war der 10. November (1938), kam die Polizei
in unser Haus, und es hieß: Juden raus! Mitkommen! Wir waren
drei: Ein Bub mit 15 Jahren, ein Mann über 70, und ich. Wir
drei mussten zur Polizeistation. Dort hat ein Polizist zu mir gesagt:
Wir wissen gar nicht, was wir mit euch anfangen sollen, wir haben
keine Ahnung! Eine Stunde später kamen Männer in Zivil,
die waren sehr elegant gekleidet und freundlich, und wir wurden
im Auto weggefahren, zum Herzog-Palais, in der Brienner Straße.
Dort wurden viele hin gebracht. Und da hörte ich auf einmal
harte Schläge, da war plötzlich starke Brutalität.
Da wurde es brutal, aber vorher noch nicht.
Und dann, einen Tag später, haben sie uns nach Dachau gebracht,
in der Nacht, nach 12. Schlafen mussten wir in der ersten Nacht
auf dem Boden. Am nächsten Morgen wurden die Namen aufgerufen
und alles aufgeschrieben. Dann wurden uns die Haare geschnitten.
Wir waren ganz nackt. Mit Absicht haben sie zwei Türen offen
stehen lassen, so dass ein starker Luftzug entstand. Und dann haben
sie uns ganz kahl geschoren, ohne Kleider. Die Haare waren so kurz.
Und dann mussten wir marschieren, immer nur marschieren. Zu dieser
Zeit war man noch nicht darauf vorbereitet, mit den Juden etwas
anderes anzufangen. Nur marschieren, von morgens bis nachts, auch
bei Regen und Kälte, nur marschieren, marschieren. Furchtbar
war das. 12 Stunden lang.
Bild „Um Mitternacht“
(Acryl, 1975), „Zählappell im KZ Dachau“ (Lithographie,
1977)
David Bloch: Als wir einmal
alle zum Zählappell angetreten waren, wurde mein Name aufgerufen:
„Bloch! Wegtreten! Sie werden frei gelassen.“ Die anderen
haben mir gratuliert. Ich war wieder draußen! Dann habe ich
als Maler und Anstreicher gearbeitet, um Geld zum Essen zu haben.
Und ein Jahr später kam meine Auswanderung nach China, nach
Shanghai. Ich hatte einen Bruder in den USA und andere Verwandte
meines Vaters, den Großvater, Cousinen, Vettern und Basen.
Die haben für mich Geld gesammelt, so dass ich zum Glück
einen Weg fand, nach China auszureisen – ohne Ausweis, ohne
Visum. Aber ich musste Geld haben. Das musste ich immer vorzeigen.
J. Stachlewitz: Du hast also
Geld gehabt. Und Glück dazu.
Bilder
D. Bloch auf dem Schiff von Venedig nach Shanghai 1940
Hafen von Shanghai (gemalt von D. Bloch)
D. Bloch als Straßenmaler in Shanghai
Holzschnitte von D. Bloch: „Grillenkäfige“, „Ein
Kind führt zwei Blinde“,
„Sofatransport“, „Wettbewerb um den Kunden“
David Bloch: In China war
ich 9 Jahre, habe eine chinesische Frau geheiratet und bin dann
mit ihr nach Amerika, 1949. Dort habe ich eine Stellung gefunden,
eine Arbeit in einer Abzieh-bilderfabrik, als Kunst-Lithograph.
Dort habe ich die Farb-Separationen als Vorbereitung für die
Druckgraphik gemacht. Das ging über viele Jahre, bis ich pensioniert
wurde. Aber ich konnte die Hitlerzeit nicht vergessen. Ich sagte
mir: Ich muss etwas tun, damit die anderen auch nicht vergessen,
was mit den Juden passiert ist.
J. Stachlewitz: Du hast
also erst, nachdem du in Pension warst, angefangen, die Holocaust-Bilder
zu malen. Wie kam das?
David Bloch: Ich habe viele
Bilder gesehen, die waren alle schlecht. Es steckte keine Idee dahinter,
was der Holocaust wirklich war. Für mich waren das Tränen
und tiefste Trauer. Und diese Trauer wollte ich zeigen, nicht oberflächlich
irgend etwas malen. Ich habe mir das lange überlegt und habe
besonders traurige Farben genommen. Kein Rot, kein Gelb, keine Sonne.
Und ich habe mit Symbolen gearbeitet. Du hast schon von dem Geiger
gesprochen. Damit zeige ich, dass die Gefangenen in Auschwitz und
in anderen Konzentrationslagern immer mit Musik empfangen wurden.
Mit Musik! Darum habe ich das gemalt. Und dann zeige ich auch die
Historie, die geschichtlichen Ereignisse, die dazu geführt
haben, dass eines zum anderen kam, dass es immer schlimmer wurde
und dass es so viele Tote gab, alle vergast in den Gaskammern.
Bilder „Von A bis Z“ (2.Teil),
Holzschnitt „Nie wieder“ „Die Anschuldigung“
(Acryl, 1977)
Jürgen Stachlewitz:
Du hast diesem Bild auch den Titel „Der Sündenbock“
gegeben. Was hat das für eine Bedeutung?
David Bloch: Man hat die
Juden immer zu Sündenböcken gemacht. Immer. Ohne Grund!
Man hat sie diskriminiert, weil man damit eine billige Politik machen
konnte. Hitler hat die Juden besonders gehasst, obwohl er früher
mit Juden zusammen war, in Wien. Dieses Bild zeigt, was dann kam:
Todeslager, Krieg, alles liegt in Trümmern. Das war die Geschichte
des „Hitler-Reiches“, die mit Bücherverbrennungen
anfing. Dieses Bild habe ich „Die 10 Gebote“ genannt.
Hier sieht man sie auch im Bild. Für Hitler haben die 10 Gebote
nichts bedeutet.
Bild: „10 Gebote“
Jürgen Stachlewitz:
Jetzt noch etwas Persönliches. Hast du Zukunftsperspektiven?
Und welche sind das?
David Bloch: Meine Perspektive
ist immer: Arbeiten, viel sehen, und daraus lernen, lernen, lernen!
Ich denke meistens positiv, nicht negativ. Das ist das Wichtigste.
Sonst gibt es keinen Weg für die Taubstummen. Sie müssen
lernen, die Augen aufzumachen und zu sehen. So wie die Hörenden
hören, so muss ich eben sehen. Das sind zwei verschiedene Welten.
Ich möchte auch noch viel mehr sehen. Ich bin dankbar, dass
ich sehen kann, auch wenn ich eine Brille trage.
Das Sehen ist das Wichtigste für einen Taubstummen. Und ich
denke mir: Ich habe in meinem Leben Gutes und Schlechtes gesehen.
Beides hält sich ungefähr die Waage.
Plakat mit Holzschnitt von David
Bloch „Klagende Hände“
darüber Schrift:
David Ludwig Bloch: MEINE BILDER SIND MEINE SPRACHE
Ausstellung KZ-Gedenkstätte Dachau, 30.01. bis 3.05.2004, www.kz-gedenkstaette-dachau.de
Impressum:
Bayerischer Rundfunk, 80300 München;
Redaktion Geisteswissenschaften und Sprachen / SEHEN STATT HÖREN
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