Filmfestival in Wolverhampton, England
9.
Gehörlosen- / Gebärdensprach-Film- und Fernseh-Festival
November 2004
Bericht von Helmut Vogel
(Veröffentlicht in: Deutsche Gehörlosen-Zeitung,
Mai-Ausgabe, 2005, S. 131-134)
Film- und Fernseh-Festival in
England
Ein hervorragendes 9. Gehörlosen-/Gebärdensprach-Film-
und Fernseh-Festival fand vom 26. – 28. November 2004 in Wolverhampton
bei Birmingham statt. Es wurde von der „British Deaf Association“
(BDA, Britischer Gehörlosen-Bund) organisiert.
Beim Lesen der BDA-Website (www.bda.org.uk) war ich
überrascht, dass dieses Festival schon zum neunten Mal organisiert
wurde. Zum Vergleich: In Deutschland fand das dritte und bisher
letzte Film- und Videofestival 1998 in Leipzig statt. Es machte
mich neugierig, was in England möglich gemacht hatte, die Festivals
so oft durchführen zu können.
Ich nahm Kontakt mit den Organisatoren des Festivals und bekam insgesamt
vier Ankündigungen. Ich übersetzte sie ins Deutsche und
veröffentlichte sie auf der Website unseres Vereins „Kultur
und Geschichte Gehörloser“ (www.kugg.de). Meine Hoffnungen,
dass einige deutsche Gehörlosen sich ebenso auf den Weg zum
Filmfestival in Wolverhampton machten, wurden nicht erfüllt.
Für Jürgen Stachlewitz, gehörloser Moderator vom
„Sehen statt Hören“, war das Festival keine Neuheit.
Seit Jahren schon wird er darüber informiert von den Gehörlosen
bei der BBC, dem britischen Fernesehsender. Jürgen Stachlewitz
wollte schon immer hinfliegen, so dass wir uns verabredeten, es
gemeinsam zu tun.
Besuch beim Zentrum für
Gehörlosenstudien in Bristol
Am Londoner Flughafen mieteten wir uns ein Auto. So konnten wir
die schöne königliche Stadt Windsor mit ihrem Schloss
und dann Bristol im Osten von England besuchen. In der bekannten
Einrichtung „Centre for Deaf Studies“ (= Zentrum für
Gehörlosenstudien) wurden wir netterweise von gehörlosen
Dozenten begrüßt und durch das Haus geführt. Es
wird dort viel Verschiedenes erforscht und unterrichtet, insbesondere
in BSL-British Sign Language (= Britische Gebärdensprache).
Wir trafen auch Dr. Paddy Ladd, der bei der Jahrestagung 2004 der
KuGG in Heidelberg einen hervorragenden Vortrag über sein Buch
gehalten hatte. Sein neuer Begriff „Deafhood“ hatte
viele Gehörlose und Hörende in Deutschland nachdenklich
gemacht und ermutigt. (Die DGZ berichtete darüber) Wir haben
uns schön unterhalten und viel gefachsimpelt. Am nächsten
Tag fuhren wir weiter nach Wolverhampton, das in Mittelengland liegt.
Traumhafte Untertitel-Quoten
In einer interessanten Sendung in „Sehen statt Hören“
vor zwei Jahren wurde über „SignPost“ (etwa Gebärden-Kurier)
aus Newcastle, Nordengland, berichtet. Dort übersetzen mehrere
angestellte Gehörlose die Filme in Gebärdensprache mit
Hilfe von Tafeln. Die Zuschauer sehen die Verdolmetschungen direkt
auf dem Bildschirm.
Die wichtigste Sendung für Gehörlose ist „See Hear“
(= Sehen Hören) von der BBC mit dem gehörlosen Leiter
Terry Riley. Die Sendung ist vergleichbar mit „Sehen statt
Hören“ bei uns. „See Hear“ ist vor etwa 25
Jahren nach Demonstrationen der Gehörlosen entstanden, während
die Entstehung von „Sehen statt Hören“ insbesondere
auf die Initiative des Elternverbandes in Bayern zurückzuführen
ist.
Von den Fortschritten im Britischen Fernsehen können wir Deutschen
nur träumen: Die Sendungen der BBC 1 sind zu 80 Prozent, der
BBC 2 zu 60 Prozent, der BBC 3 zu 50 Prozent und der BBC 4 zu 40
Prozent untertitelt.
Zum erstenmal Gehörlosen-/Gebärdensprach-Film-
und Fernseh-Festival
Seit dem dritten Gehörlosen-Film und- Fernseh-Festival 1998
ist das Kino „Light House“ in Wolverhampton Austragungsort
dieser Veranstaltung. Genauso lange schon wird das Festival von
„Screen West Midlands“ (west-mittelenglische Kinogesellschaft)
unterstützt. Dieses Jahr trug es zum erstenmal den Namen Gehörlosen-
/Gebärdensprach-Film und Fernseh-Festival.
Beim diesjährigen Festival waren mehr Gehörlose aus dem
Ausland dabei. Sie kamen zum Beispiel aus Tschechien, Finnland,
Frankreich, Dänemark, Spanien, USA und Neuseeland. Am Samstag
wurde die Veranstaltung von etwa 150 Leuten besucht. Dabei trafen
wir auch die beiden gehörlosen Studenten Daniela Gnerlich und
Manu Ostendorf aus Hamburg. Beide machen für ein Jahr „Deaf
Studies“ an der Universität Preston bei Manchester.
Besserer Zugang wird erforscht
Zum ersten Mal beteiligte sich der britische Filmrat mit einer Forschung
am Filmfestival. Die mit 8000 Pfund finanzierte Forschung hat das
Ziel, Möglichkeiten für einen besseren Zugang zu Filmen
und zur Kinowelt für Gehörlose zu entwickeln. Ein wichtiges
Ziele ist auch, gehörlose Filmemacher zu ermutigen. Dawn Marshall,
Referentin für Britische Gebärdensprache in der BDA und
Mit-Organisatorin des Festivals, drückte ihre Hoffnung aus,
dass das 9. Festival Wendepunkt sein wird und Gehörlose mehr
Gebärdensprach-Filme produzieren werden.
Zur Eröffnung: „The Golden Legacy“
Zur Eröffnung des Festivals am 26. November passte gut die
Filmpremiere „The Golden Legacy“ (Das goldene Vermächtnis/Erbe).
Dieser über 90 Minuten dauernde Film war die erste Produktion
in voller Länge von „Eyeth Films“. Diese Firma
wurde im Jahr 2000 unter Leitung des gehörlosen Filmemachers
und Regisseurs Arthur Luhn gegründet. Der Film stellt eine
neue Art der von Gehörlosen produzierten Film dar. Er zeigt
nicht die ´sozialen Probleme´ der Gehörlosen oder
ihr Bemühen, sich in der hörenden Gesellschaft zurechtzufinden.
Im Gegenteil stellt der Film die Gehörlosenkultur und die Amerikanische
Gebärdensprache (ASL) dar.
Fast alle Darsteller in „The Golden Legacy“ benutzten
ASL. Der Hauptdarsteller namens George sucht dauernd nach einer
Gelegenheit, schnell reich zu werden, damit er seinen langweiligen
Job und seine Schulden loswerden kann. Eines Tages trifft er Aeneas,
einen älteren Mann, der auf der Suche nach einem Jahrhunderte
alten Piraten-Goldschatz ist. Die zwei schließen sich zusammen
und ihre Suche führt sie durch ganz Bosten und dessen Vororte.
Ihre Jagd endet schließlich auf Martha’s Vineyard, der
Insel, auf der früher fast 300 Jahre lang eine Gebärdensprachgemeinschaft
‚geblüht’ hat. Aber auch eine Gruppe Hörender
von der Alexander Bell-Gesellschaft sucht den Goldschatz. Das führt
zu Konkurrenzkämpfen zwischen den gehörlosen und hörenden
Darstellern. Der sozialdarwinistisch eingestellte Alexander Bell
hat in der Tat im späten 19. Jahrhundert auf Martha`s Vineyard
viel erforscht, um die Gültigkeit seiner Thesen für die
Theorie der erblich bedingten Gehörlosigkeit zu beweisen.
Der Film hat mich durch seine ganz neue Art tief beeindruckt. Die
Dialoge in ASL, denen ich zumeist folgen konnte, waren wirklich
genauso, wie man sie aus Abenteuerfilmen kennt. Die Konkurrenzkämpfe
zwischen den Gruppen dauerten ein bisschen zu lange. Der Filmrahmen
hat mich jedoch einfach verblüfft. Das ist wirklich eine Vision
für das 21. Jahrhundert, dass vermehrt Gebärdensprachfilme
mit gehörlosen Darstellern in richtiger Länge zu produzieren
sind.
Jeder kann einen Film machen
Bei einem Forum am nächsten Nachmittag erzählte Arthur
Luhn dem Publikum, dass die Filmindustrie Anfang des 20. Jahrhunderts
Stummfilme produzierte und ohne Vertonung auskam. Es war ein Vorteil
damals für die Gehörlosen. Der berühmte Stummfilm-Darsteller
Charlie Chaplin hatte bekanntlich gehörlose Freunde und lernte
die Ausdruckskraft, insbesondere die Mimik, von ihnen. Die Wege
trennten sich, als die Gehörlosen später den immer mehr
vertonten Filmen nicht mehr folgen konnten. Arthur Luhn sieht in
der Zukunft die Möglichkeit, dass sich die Wege wieder kreuzen,
indem die Gehörlosen selber Filme machen. Das ist schon eine
Vision.
Aufgrund der digitalen Revolution kann heutzutage jeder Filme machen.
Überall können die technischen Geräte billig angemietet
werden. Arthur Luhn nannte als Beispiel einen bekannten Filmemacher.
Der hat für die Produktion 6.000 Dollar bezahlt, aber die Filmrechte
für einige Millionen an ein Filmstudio verkauft. So wurde er
Millionär. Für die unabhängigen Filmmacher ist die
Beziehung zu den Zuschauern wichtig. An ihnen orientieren sie sich
im Vergleich zu den amerikanischen Filmstudios mit großem
Umsatz.
Firma „Eyethfilms“
Der ausgewählte Firmenname soll betonen, dass die Produktion
der Filme auf das Sehen und auf der Gebärdensprache basiert.
„Eyeth“ stammt aus dem Wort „Eye“ (= Auge)
und soll einen Gegensatz zum Wort „Earth“ (= Erde) bilden.
Dieses Wort hat augenscheinlich eine Verbindung zum Wort „Hear“
(= Hören). Hingegen ist „Eyeth“ eine imaginäre
Welt, in der die Kreativität für das Filmen in der Gebärdensprache
freigesetzt wird.
Nach dem ersten Spielfilm „The Golden Legacy“ machte
Eyethfilms verschiedene Erfahrungen mit dem Filmen. Als ein Beispiel
zeigte Arthur Luhn in einem Film ein Experiment, bei dem von einem
Platz aus mit immer verschiedenen Perspektiven aufgenommen wurde.
Als die Darsteller Dialoge in Gebärdensprache führten,
wurden sie entweder nah oder weit gefilmt. Er suchte nach optimalen
Perspektiven, mit seinen Worten: nach einem „Deaf Viewpoint“,
einer Gehörlosen-Sichtweise. Er merkte an, dass das Filmen
bei Gehörlosen vor 20 Jahren angefangen hat und es daher Zeit
braucht, neue Sichtweisen für das Filmen zu entwickeln.
Bei der Fragerunde mit dem Publikum erzählte Arthur Luhn, Direktor
des Eyethfilms, dass er und seine Mitarbeiter viel Zeit brauchten,
um etwa 30.000 Dollar für den ersten Spielfilm durch Besuche
bei den Produktionsfirmen zusammenzutragen. Nach der Fertigstellung
des Filmes mussten sie einen Teil der Verkaufseinnahmen an die Produktionsfirmen
zurückzahlen. Nach seiner Erfahrung ist es sehr hart, als gehörloser
Filmemacher Gelder von Produktionsfirmen zu bekommen. Es ist wichtig,
dass die Firma Eyethfilms nicht aufgibt und ein vertrauliches Verhältnis
zu den Produktionsfirmen weiter aufbaut. Inzwischen sind weitere
Spielfilme herausgebracht. Darüber ist mehr in www.eyethfilms.com
zu erfahren.
Neuseeländer froh über Kontakt
zu Filmemachern
Das Festival zeigte auch Arbeiten von gehörlosen Filmemachern
aus Neuseeland, die erst seit kurzem Filme produzieren. Das erste
neuseeländische Kurzfilm-Festival der Gehörlosen wurde
im Juli 2004 in Auckland veranstaltet. Dessen Organisator Brent
Macpherson, der selbst auch Regisseur ist, war beim Festival anwesend
und freute sich sehr über Kontakte mit Filmemachern.
Er erzählte, dass gehörlose Kinder meistens reguläre
Schulen besuchen und kaum Kontakte zu anderen Gehörlosen und
zur Gehörlosenkultur haben. Er sieht im Festival die Chance,
damit viele isoliert lebende Gehörlose und die Öffentlichkeit
sehen können, dass es eine Gehörlosengemeinschaft gibt,
in der alle Mitglieder in Gebärdensprache verkehren.
Filmausschnitte
Als nächstes wurden Ausschnitte aus bekannten Filmen von britischen
gehörlosen Filmemachern gezeigt. Das „Deafinitely Theatre“
führte 2003 das Stück „Motherland“ (= Heimatland)
aufgeführt. Es handelte vom Leben der Gehörlosen während
der deutschen nationalsozialistischen Diktatur. Jetzt gibt es eine
DVD mit diesem aufrüttelnden Stück zu kaufen. Der andere
bekannte Film „Milan“, der vor zehn Jahren vom „Deaf
Owl Productions“ gemacht worden war, wurde wieder gezeigt.
Er zeigt den Alptraum der Gehörlosen nach dem auf dem Mailänder
Kongress 1880 beschlossenen Verbot der Gebärdensprache. Filmemacher
Nick Sturley, er hat ein Usher-Syndrom, veröffentlichte letztes
Jahr seinen ersten Roman „Milan“. Die Fragen der Moderatorin
zum Theaterstück und Roman übersetzte sein Freund in taktiler
Gebärdensprache. Es war eine interessante Erfahrung, das zu
sehen.
„Switch!“, eine BBC-Filmserie
in Gebärdensprache
Eins der großen Ereignisse beim Festival war eine besondere
Vorschau des Gebärdensprachfilms „Switch!“, einer
neuen Serie, produziert vom „SeeHear“ der BBC. Es war
echt verblüffend zu sehen, dass das Leben innerhalb der Gehörlosengemeinschaft
im Film gezeigt worden ist. Die Beziehungsprobleme zwischen hörenden
Eltern und gehörlosen Erwachsenen werden nicht ausgeklammert.
Der gehörlose Regisseur Louis Neethling kommt eigentlich aus
Südafrika und lebt seit drei Jahren als ausgebildeter Regisseur
in England. Er meint, die Schauspieler spielen besser und professioneller
als in den ersten zwei Staffeln, weil sie sich schon mit den Figuren
auskennen. In den ersten beiden Staffeln gab es acht Folgen von
jeweils 15 Minuten. Seit 22. Januar 2005 werden fünf jeweils
halbstündige Folgen gezeigt, immer samstags um 12 Uhr im BBC
2.
Die Resonanz bei hörenden Menschen ist schon groß. Viele
Hörenden schauen gerne hin, auch wenn sie die Gebärdensprache
nicht verstehen und die Inhalte nur über die Vertonung mitbekommen.
Jetzt liegt die Einschaltquote bei 600.000 Zuschauern. Louis Neethling
erklärte, dass die nächste Staffel von „Switch“
zu einer günstigeren Zeit gesendet werden könnte, wenn
mehr Zuschauer die Sendung sehen würden und die vierte neue
Staffel gemacht werden sollte.
Der Knüller war „Die
Rückkehr von Dracula“
Viele, zumeist ältere Gehörlose und Filmfreunde erlebten
einen ganz besonderen Knüller am Samstagabend. Sie konnten
– viele zum ersten Mal – den vor fast vierzig Jahren
von Pink Stephen gemachten 8 mm-Film „Die Rückkehr von
Dracula“ sehen. Die Schauspieler und das ganze Team gehörten
zur Familie und zum Freundeskreis von Stephen. Alle waren gehörlos
und verwendeten die BSL. Stephen, der auch das Drehbuch geschrieben
hat, zeigte den Film verschiedenen Gehörlosenvereinen. Insgesamt
über 2000 Menschen waren gekommen, um den Film zu sehen.
Erst 1995 wurde dieser Film von dem gehörlosen Forscher Joseph
Collins für das Programm „Sign On“ im Kanal 4 wieder
entdeckt. Der Film wurde erstmals 1996 beim 2. Gehörlosen Film-
und Fernseh-Festival in Newcastle gezeigt, zu einer Zeit, als die
meisten Gehörlosen keinen Film machen konnten. Für Joseph
Collins ist „der gehörlose Filmemacher Pink Stephen ein
unbekannter Held“. Bob Duncan, der damalige Produzent vom
„Sign On“ sagte: "Ich denke, daß dieser Film
eines Tages als stiller Klassiker der Gebärdensprache gesehen
wird. Er verwendet einige Untertitel wie die alten Stummfilme, aber
alle Dialoge sind in BSL. Es ist klar, dass Stephen eine wirklich
große Filmkarriere hätte haben können, wenn er gewusst
hätte, es zu schaffen. Das Ziel des Festivals ist, sicherzustellen,
dass gehörlose Filmmacher in Zukunft die Möglichkeit haben,
Filme für Kino und Fernsehen zu produzieren."
„Lieber Frankie“
Der am Samstagabend parallel gezeigte Film konnte gegensätzlicher
nicht sein. Der Filmsaal war voll. Viele hörenden Menschen
kamen extra, um den neuen britischen Kinofilm „Lieber Frankie“
zu sehen. Der einfühlsam gedrehte und untertitelte Film war
noch nicht freigegeben worden. Er war ein großer Erfolg auf
dem bekannten Filmfestival in Cannes. Hauptdarsteller ist ein Junge
namens Frankie, der den Gehörlosen spielt. Frankie lebt mit
seiner Mutter und Großmutter in einer Stadt in Schottland
mit Aussicht auf den Fluss Clyde. Seine Mutter hat ihm nicht die
Wahrheit über den vermissten Vater erzählt. Stattdessen
erklärt sie ihm, dass sein Vater auf dem Meer unterwegs ist
und auf einem Schiff arbeitet. Was passiert, wenn sie die Wahrheit
nicht länger verschweigen kann?
Unglaublicher Unterschied
Im Film war schnell zu erkennen, dass Frankie in Wirklichkeit hörend
war, da er kaum BSL verwendete und mehr in gestischer Form gebärdete.
Auch wenn der Film hervorragend gedreht wurde, war der Unterschied
zu den Filmen „The Golden Legacy“ und „Switch“
unglaublich. Bei den letzteren Filmen hatte ich das wohltuende und
glückliche Gefühl, dass es sich wirklich um Gehörlose
und Gebärdensprache handelt. Es ist mir vorher noch nie so
bewusst geworden wie bei diesem Festival. Und ich kann mich sehr
gut in die Antwort von Arthur Luhn einfinden.
Ein Interview mit ihm war in der November-Ausgabe der „SignMatters“
(= Gebärdensachen/-angelegenheiten), der britischen Gehörlosenzeitung,
veröffentlicht worden. Er brachte es auf den Punkt, als er
gefragt wurde, ob sein Film in positivem Licht für die Gehörlosen
und die Öffentlichkeit dargestellt wurde. Seine Antwort: „Es
gibt keine Rechtfertigung, keine Entschuldigung, keine Erklärungsversuche,
und das meiste von allen, keine aufgesetzte Normalität. ASL
wird einfach benutzt.“
Rückreise über Coventry
und Cambridge
Auf der Rückreise machten Jürgen Stachlewitz und ich noch
einen Abstecher nach Coventry und Cambridge. Die von der Kirche
in Coventry ausgehende ist weltweit bekannt. Die Stadt war
im November 1940 von den Deutschen stark bombardiert worden. Cambridge
ist eine bekannte, schöne und altehrwürdige Universitätsstadt.
Mit vielen neuen Eindrücken von der lohnenswerten Rundreise
und vom Film- und Fernsehfestival kehrten wir nach Deutschland zurück.
Insgesamt hatten wir den Eindruck, dass die Gehörlosen in England
weitergekommen sind.
10. Festival mit neuem Namen
und neuen Formen
Das eigentlich 10. Festival in diesem Jahr soll den Namen „1.
Gebärdensprach-Film und Fernsehfestival“ tragen. Die
letztjährige Veranstaltung leitete den Übergang zu neuen
Formen ein. In Zukunft soll vermehrt Gebärdensprache und Gehörlosenkultur
in den Filmen dargestellt werden. Die Engländer wollen auch
Filme von jedem Kontinent zeigen lassen in so viel Gebärdensprachen
wie möglich.
Angelegenheiten selbst in die Hand nehmen
Bei diesem Namen denkt man in Deutschland eher, dass Hörende
genauso Filme wie die Gehörlosen machen können. In England
denkt man nicht in dieser Weise. Vielmehr sollte es so sein, dass
Gehörlose nicht in ihrer Gehörlosigkeit gesehen werden
sollen, sondern in ihrer Gebärdensprache. Zudem legt die BDA
Wert darauf, dass Gehörlose selbst Filme produzieren.
Das Selbstbewusstsein, seine Angelegenheiten selbst in die Hand
zu nehmen, ist offensichtlich bei den Engländern größer.
Das hängt auch mit der derzeit anlaufenden Kampagne seitens
der BDA zusammen, mit der die Gehörlosen mehr Verantwortung
und Selbstbestimmung beanspruchen, was ihre Sprache und ihr Leben
betrifft. Meines Erachtens kommt das Selbstbewusstsein vermutlich
aus den gemeinsamen Bemühungen und Erfolgen um die Anerkennung
der Britischen Gebärdensprache. Bis zu 10.000 Gehörlose
und ihre Freunde aus ganz England waren einige Jahre zu jährlichen
Protestmärschen nach London gekommen, bis das Parlament 2003
die Britische Gebärdensprache anerkannt hat.
Filmfestival auch bei uns
Schließlich ist es zu hoffen, dass es in Deutschland künftig
wieder mehr und gemeinsame Anstrengungen geben wird, ein Filmfestival
auf die Beine zu stellen. Im Vorstand der „Kultur und Geschichte
Gehörloser e.V.“ haben wir uns entschieden, dass wir
versuchen wollen, ein Filmfestival in Deutschland von unserer Seite
wiederbeleben zu lassen - möglichst im nächsten Jahr.
Wir freuen uns auf Rückmeldungen zu diesem Artikel! Jedenfalls
sollten sich Interessierte, die gerne wieder einen Film machen wollen,
bitte mit uns in Verbindung setzen unter info@kugg.de.
Helmut Vogel
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